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Ein bunter Strauß an Möglichkeiten!

Konzept und Implementierung von erfolgreichen Übergängen in inklusive Arbeitsmöglichkeiten.

Bild Ein bunter Strauß an Möglichkeiten!
Bildungskurs im Gemeindezentrum

 13. Februar 2024 |  Katrin Euler

  Weiterentwicklung der beruflichen Teilhabe, Im Gespräch mit...

In der viel diskutierten "Studie zu einem transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystem in WfbM und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt" wurden verschiedenen Handlungsfelder für Änderungen im System der Werkstätten dargelegt. Unter anderem auch das Etablieren eines professionelles Übergangsmanagement zur Förderung und Unterstützung von mehr beruflicher Teilhabe im allgemeinen Arbeitsmarkt.

Wir sprachen mit Kristin Surmann, ehemalige Werkstattleiterin und 53°NORD-Beraterin zum Aufbau eines professionellen Übergangsmanagements für mehr "inklusive Arbeitsmöglichkeiten".

53° NORD: Frau Surmann, was genau meint "Inklusive Arbeitsmöglichkeiten"?

Kristin Surmann: Für mich bedeuten inklusive Arbeitsmöglichkeiten für Beschäftigte einer WfbM erstmal ganz einfach dort zu arbeiten, wo andere auch arbeiten. Damit gemeint sind Beschäftigungsmöglichkeiten die eben nicht nur in den Räumlichkeiten der WfbM stattfinden, sondern Beschäftigungsmöglichkeiten die eine große Schnittmenge mit dem allgemeinen Arbeitsmarkt, beziehungsweise mit dem Sozialraum haben.

Diese Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten können dann z.B. Werkstattarbeitsgruppen im Betrieb sein, Einzelwerkstattarbeitsplätze im Betrieb, eine sozialversicherungspflichtige Anstellung über das Budget für Arbeit, eine Beschäftigung beim Anderen Leistungsanbieter oder aber auch eine Tätigkeit in einem Inklusionsunternehmen. Inklusive Arbeitsmöglichkeiten können aber ebenso Maßnahmen der beruflichen Bildung in einem arbeitsmarktnahen Setting bedeuten.

Also auf den Punkt gebracht bedeuten inklusive Arbeitsmöglichkeiten für mich, viele verschiedene Modelle für die unterschiedlichsten Personen. Immer mit dem Ziel, eine Beschäftigung auch außerhalb der Räume anerkannter WfbMs für die Menschen, die das möchten anzubieten.

Eine kleine Korrektur in der Begrifflichkeit: Ich selber nutze eigentlich wenig bis gar nicht den Begriff Außenarbeitsplätze oder Arbeitsgruppe. Das habe ich auch schon in meiner Zeit als Werkstattleiterin nicht gemacht. Ich sage lieber Werkstattarbeitsplätze im Betrieb oder eben Werkstattarbeitsgruppen im Betrieb. Aus meiner Sicht wird so deutlich, was es ist. Nämlich ein Beschäftigungsplatz wie in der Werkstatt, nur halt außerhalb der Räumlichkeiten der Werkstatt. Das ist für mich deutlich griffiger, für alle Beteiligten. Es ist ja weiterhin etwas, was sehr eng an Werkstatt gebunden ist, sowohl personell, aber auch wirtschaftlich oder was die Lohnzahlungen betrifft.

53° NORD: Man könnte auch sagen, Werkstatt als Dienstleistung am anderen Ort. Was verändert diese Sichtweise?

Genau, diese Beschreibung gefällt mir gut, weil sie deutlich macht, dass es nicht darum geht, die Notwenigkeit der anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) und den damit verbundenen Rechtsanspruch zu verändern, sondern eben "nur" das Setting in dem diese Leistung stattfindet. Ebenso nimmt es die Wertigkeit innerhalb des Werkstattsystems. Wenn deutlich wird, dass eine Werkstattarbeitsplatz im Betrieb eben ein Werkstattarbeitsplatz (nur) an einem anderen Ort ist, dann ist vielleicht mehr Nähe und Gemeinsamkeit hergestellt und das Konkurrenzdenken diesbezüglich wird eher überflüssig.

Meine Haltung ist immer, keine Wertung entstehen zu lassen. Denn es ist ein gleicher Rechtsanspruch, der einfach nur unterschiedlich umgewandelt wird. Jeder soll doch bestmöglich da arbeiten, wo er möchte, ohne jegliche Wertigkeit.

Auch in meiner Zeit als Werkstattleiterin habe ich diese Wertigkeit häufig so wahrgenommen und es war immer mein Ansatzpunkt zu sagen: Alles was wir anbieten ist gleichwertig. Es ist wichtig deutlich zu machen, dass die Werkstatt eine sehr vielschichtige, berufliche Perspektive mit vielen Möglichkeiten nach innen und nach außen sein kann.

53° NORD: Sie sind recht häufig in Werkstätten unterwegs. Wie wird das Thema Übergangsmanagement bzw. inklusive Arbeitsmöglichkeiten in Werkstätten aufgegriffen?

Ich erlebe es so, dass die allermeisten Werkstätten das Thema des Übergangsmanagements aufgegriffen und umgesetzt haben, oder derzeit strategisch ein solches Angebot aufbauen. Natürlich unterscheiden sich die jeweiligen Angebote und auch Übergangsquoten deutlich.

Ich erlebe Träger mit einem sehr fundierten Selbstverständnis im gesamten System, mit einer klaren Zielvorgabe auf Leitungsebene und strukturell eigene Abteilungen mit eigenen Zuständigkeiten und Abläufen und einer dem entsprechend hohe Übergangsquote. Es gibt aber auch Träger, die recht neu mit dem Gedanken starten. Aber nicht im Sinne von "Das ist jetzt was völlig Neues", sondern eher mit der Perspektive das Angebot möglicherweise zu professionalisieren, z.B. in dem versucht wird, die einzelnen JobCoaches besser und fundiertes in das bestehende System zu integrieren, damit diese dann vielleicht nicht mehr "nur" als Einzelkämpfer ihre Wege suchen.

53° NORD: Woran liegt das, das es so unterschiedliche Entwicklungsgrade gibt?

Ich denke, dass das sehr stark davon abhängig ist, wie das Selbstverständnis zu dem Thema geprägt ist bzw. wurde. Also ist die Motivation, ein Übergangsmanagement zu gestalten, eher eine von außen kommende Erwartung, die man meint erfüllen zu müssen. Oder gibt es Menschen im Unternehmen – möglicherweise auch in führender Funktion – die da mit voller Fachlichkeit dahinterstehen und den Sinn und Zweck dahinter sehen und diesen dann eben auch vermitteln, bzw. in die Strategie und Struktur des Unternehmens zu implementieren.

53° NORD: Also wie Pflicht oder Kür?

Ja, die Kür beinhaltet nicht nur die Erfüllung des gesetzlichen Auftrags, sondern es steckt einfach deutlich mehr Auseinandersetzungsgrad dahinter und einigen Akteuren ist klar, dass es eine ganzheitliche Veränderung des bisherigen Systems geben muss, als einen JobCoach zu installieren.

53° NORD: Verändert sich der Auftrag der Werkstatt für behinderte Menschen?

Ich denke schon, wenn wir uns die Geschichte der Werkstätten und Ihre Entstehung anschauen, dann sehen wir, dass sich der grundlegende Auftrag über die Jahre verändert hat. Nicht zuletzt zeigen uns die Veränderungen des BTHGs, dass Werkstatt ihre Arbeit nicht nur verändert über das Berichtswesen darlegen sollen, sondern wir erleben, dass die fachliche Hoheit, die vielleicht Jahrzehntelang in der Fachlichkeit der WfbM lag, nun zum Kostenträger und vor allem zum Menschen mit Behinderung übergegangen ist.

53° NORD: Worin liegt da die Herausforderung?

Ich glaube, dass der geforderte Paradigmenwechsel recht umfangreich ist. Wenn wir uns noch mal die Geschichte der WfbM anschauen, dann sehen wir, dass diese jahrzehntelang den Auftrag hatte, Erwerbsarbeit für vollerwerbsgeminderte Menschen anzubieten. Also sozusagen eine Fahrbahn neben dem allgemeinen Arbeitsmarkt, mit dem Ziel dieser Personengruppe ein Recht auf Arbeit zu ermöglichen. Und mit dem BTHG und auch mit der Erwartung der Gesellschaft und des Arbeitsmarktes, kann es diese Fahrbahn, so wie wir sie kennen, langfristig nicht mehr geben. Denn diese alte Fahrbahn bietet derzeit kaum Brücken in einen echten inklusiven Arbeitsmarkt.  

Aber es geht nicht nur darum, ein vielfältiges, also inklusives Arbeitsangebot vorzuhalten. Sondern um sein langjährig bestehendes Angebot erfolgreich umzugestalten. Dafür ist es eigentlich unabdingbar, sich die eigenen Strukturen anschauen – auch aus der Perspektive des Menschen mit Behinderung selbst. Denn ein Übergangsmanagement ist mehr als Kooperationen mit Firma X oder Unternehmen Y. Sondern ein gutes Übergangsmanagement bedeutet, dass man sich individuell nach den Wünschen, Bedürfnissen und Fähigkeiten des Menschen auf den Weg macht.

Und ein gut fundiertes Übergangsmanagement zu etablieren, ist sicherlich ein sehr guter Gedanke, diesen Paradigmenwechsel zu unterstützen, aber er ist nicht weitreichend genug. Also ich sage das auch ganz gerne in meinen Beratungen, wenn man das veränderte Teilhabeplanverfahren als ein verändertes Berichtswesen wahrnimmt, dann ist das in meiner Interpretation deutlich zu kurz gegriffen, weil dahinter eine komplett andere Aufstellung und Ausrichtung des Leistungsangebot steckt. Und da brauche ich natürlich ein Übergangsmanagement, klar, aber ich brauche noch viel mehr.

53° NORD: Wo setzen Sie in Ihrer Beratung an?

Also, ich leite die derzeitige Veränderungsnotwendigkeit immer tatsächlich über den veränderten Behinderungsbegriff her. Eine Behinderung entsteht erst im Kontext mit der Umwelt und dadurch wird ja schon direkt deutlich, dass sie sehr individuell bei jeder einzelnen Person entsteht. Bis Ende der 90er Jahre war es meiner Ansicht nach so, dass Werkstätten sehr dafür gelobt wurden, dass sie hochprofessionelle Produktionsbereiche aufgebaut haben und mehrere Angebote für Personengruppen unter einem Dach angeboten haben. Und die Erwartung der Leistungsträger war auch eine andere, nämlich genau das anzubieten.

Heute, wenn wir es mit dem veränderten Behinderungsbegriff ernst nehmen, gibt es nur noch die einzelne Person, bei der im Kontext zu der individuellen Umwelt ein Bedarf an Unterstützung entsteht. Man kann diesen Bedarf nur individuell gerecht werden und das Teilhabeplanverfahren ernst nehmen und als Werkstätten entsprechend Bericht über das Verfahren geben. Dann wird deutlich, dass das System, was wir jahrzehntelang kannten, an seine Grenzen gekommen ist, weil es eben jahrzehntelang eine andere Ausrichtung hatte.

53° NORD: Was spielt Wunsch- und Wahlrecht da für eine Rolle?

Das ist eigentlich die andere Seite von derselben Medaille. Wenn wir ernstnehmen, dass Menschen mit Behinderung ein Wahlrecht haben und entsprechend der eigenen Wünsche und Fähigkeiten gefördert und begleitet werden sollen, dann muss es ja ein großes Maß an Wahlmöglichkeiten geben. Und darum kann es sinnhaft sein, ein Übergangsmanagement zu haben. Denn wenn wir bei der einzelnen Person ansetzen und uns als Werkstatt der einzelnen Personen ein größtmögliches Angebot an Arbeit machen wollen, dann schließt es ja per se den ersten Arbeitsmarkt nicht aus. Und dann kann ich über meine Übergangsmanagement einfach meine Angebotspalette erweitern. Auch aus unternehmerischer Sicht, ist es wichtig sich breiter aufzustellen, Stichwort: Konkurrenz durch den anderen Leistungsanbieter und/oder das Budget für Arbeit.  Denn wenn ich als WfbM viele Brücken, Übergänge und passgenaue berufliche Perspektiven biete und nicht nur eine Perspektive mit sechs bis acht Arbeitsbereichen, dann bin ich einfach für die Zukunft gut, bzw. besser gewappnet.

53° NORD: Wie schätzen Sie die Sorge von sinkender Wirtschaftlichkeit ein?

Meiner Erfahrung nach ist es selten so, dass die Steigerung der Außenarbeitsplätze einen negativen Effekt auf das Produktionsergebnis hat. Allein weil Außenarbeitsplätze weiterhin nach dem Solidaritätsprinzip einspeisen. Und die Hypothese, dass es immer die so genannten Leistungsträger sind, die die Produktionsgruppen verlassen, stimmt ja häufig so auch nicht. Ich mache häufig die Erfahrung, dass zuallererst die Menschen, die einen Wunsch außerhalb der Räumlichkeiten der WfbM zu arbeiten haben, dies auch am erfolgreichsten tun. Und oftmals ist es so, dass das nicht zwangsläufig die Leistungsträger sind. Denn die haben ihre Rolle und Tätigkeit ja schon sehr gut definiert und schätzen diesen Rahmen, den ihre Gruppe in der WfbM bietet.

Ganz im Gegenteil also, ein bunter Strauß an Angeboten steigert eher die Kundenzufriedenheit und sichert so das Gesamtergebnis.

53° NORD: Gut, dann bleibt ja nur noch die Frage: Was also braucht es zur Schaffung von inklusiven Qualifizierungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten?

Dafür habe ich ja das Seminar entwickelt, oder besser gesagt das Workshop-Seminar. In dem Seminar gucken wir uns noch einmal die Historie der Werkstätten an und auch, warum es jeweils Sinn machen könnte, das Übergangsmanagement (professioneller) zu etablieren. Die Frage, die beantwortet werden soll, ist "Warum brauchen wir ein Übergangsmanagement, was soll es bieten und wie implementieren wir das Übergangsmanagement dann?"

Das Seminar ist so angelegt, dass nicht nur Wissen vermitteln wird und Erfahrungsaustausch geboten wird, sondern am Ende des Tages soll jeder einzelne Teilnehmer einen eigenen Fahrplan für das eigene Unternehmen erarbeitet haben. Und dafür gucken wir uns auch an, warum könnte es Sinn machen, also eine Herleitung im Unternehmen greifbar zu machen. Und wir analysieren, was es für unterschiedliche Möglichkeiten gibt, die passen und realistisch im Aufbau sind.

Und damit die konzipierten inklusiven Beschäftigungsmöglichkeiten nicht nur Ideen bleiben, sondern gelebte Realität werden, gibt es nach 3 Monaten einen digitalen Check-Up in Kleingruppen. Dann schauen wir gemeinsam, was bislang passiert ist: Welche Meilensteine sind bereits umsetzt? Gibt es Stolpersteine? Was hat gut funktioniert, was wiederum nicht?

53° NORD: Danke für das Gespräch!

Details zum angesprochenen Seminar "Ein funktionierendes Übergangsmanagement in der WfbM" mit Kristin Surmann können Sie im Veranstaltungsbereich lesen – wir freuen uns auf Ihre Teilnahme!

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