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Katja Mieder, Beruf: Performerin

Nach 21 Jahren Werkstatt erfolgreiche Performerin und Tanzanleiterin

Bild Katja Mieder, Beruf: Performerin
Katja Mieder - Foto: Tom Dachs

 22. April 2024 |  Gudrun Heyder | Textbeitrag

  Haltung, Wahlfreiheit und Selbsbestimmung, Kostenfreie Artikel

Katja Mieder ist spastisch gelähmt und braucht rund um die Uhr eine Assistenz. Die 41-Jährige tanzt seit 15 Jahren im Tanzlabor Leipzig, einem freien Ensemble und war vorher 21 Jahre in der WfbM der Diakonie am Thonberg tätig. Dort engagierte sie sich im Werkstattrat und als Frauenbeauftragte. Mit ihrer Rente und dem halben Minijob im Tanzlabor kann sie sich nun diesen Traum erfüllen und findet, „Inklusiver Tanz muss in der Gesellschaft gezeigt werden!“

Gemeinsames Tanzen für alle

Ihr Rollstuhl ist in voller Fahrt. Katja Mieder steuert ihn kreuz und quer über die Bühne, blinkt, hupt, setzt Vorder- und Rücklicht ein, fährt den Sitz rauf und runter und verstellt das Fußbrett. „Ich verwende die komplette Technik meines Rollstuhls, er dient mir als Ausdrucksmittel“, erklärt die Tänzerin nach der Aufführung. In der Performance nutzt sie den Rollstuhl völlig anders als im Alltag. „Da bringt er mich von A nach B“, sagt die spastisch gelähmte Leipzigerin sachlich. „Auf der Bühne setze ich ihn in Varianten als Objekt ein und nutze Raumwege aus. Ich kann auf Augenhöhe mit meinen MittänzerInnen tanzen und Grenzen überschreiten, indem ich meinen Körper bewege.“ Seit 15 Jahren ist Katja Mieder als Tänzerin im Rollstuhl künstlerisch aktiv. Das, was sich Viele wohl kaum vorstellen können – schwer körperbehindert als Tänzerin - begann so:

Das Tanzlabor Leipzig entstand 2006 aus der Jugendgruppe „Rolling-Cats“, die Katja Mieder mitgegründet hatte. Im Soziokulturellen Zentrum Die VILLA suchte die Gruppe nach Möglichkeiten, ihre Freizeit selbstbestimmt zu gestalten. Die Leipziger Choreografin Heike Hennig probte dort und lud die Jugendlichen spontan dazu ein. Das gemeinsame Tanzen ging weiter und schließlich gründete sich das Tanzlabor Leipzig, deren Träger die VILLA gGmbH ist. Katja Mieder war von Anfang an dabei. In einer Zukunftswerkstatt entwickelte das Ensemble 2015 die Idee einer eigenen mixed-abled Tanzanleiter-Ausbildung und legte 2018 damit los. Seit 2020 gibt es den ersten Arbeitsplatz für einen Menschen mit Behinderung im Tanzlabor Leipzig. Einige AkteurInnen mit Behinderungen bringen sich auf der Basis von Minijobs ein, so auch Katja Mieder mit einem halben Minijob. „Ich bin sehr oft im Tanzlabor, ich lege da viel Herzblut rein.“ Erfahrungen im zeitgenössischen Tanz hat sie mit zahlreichen ChoreografInnen und TänzerInnen der Leipziger Tanzszene und darüber hinaus gesammelt. Katja Mieder wirkt auch in internationalen Projekten mit.

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„Ich lebe mein Leben so wie Du und brauche eben Assistenz dabei.“

Mit Minijob und Rente kann sie ihren Lebensunterhalt bestreiten und inzwischen ein Team von sechs AssistentInnen „dirigieren“, die abwechselnd 24/7 bei ihr sind.  „Ohne sie könnte ich das alles nicht machen“, hebt die spastisch gelähmte Performerin hervor. „Das beginnt morgens beim Aufstehen und Gesicht waschen. Vorher hatte ich einen Pflegedienst, damit musste ich viel mehr planen. Wenn ich jetzt zu einem meiner Assistenten sage `Lass uns das und das unternehmen‘, dann machen wir das.“ Katja Mieder ist schwer genervt davon, immer wieder gefragt zu werden: Wie lebst Du denn!? „Ich antworte dann, ich lebe mein Leben so wie Du und brauche eben Assistenz dabei.“ Sie kritisiert weiter: „Menschen mit Behinderung werden immer noch wie Außerirdische betrachtet, das muss abgebaut werden!“ Klar seien manche Menschen im Publikum irritiert, wenn sie und ihre MittänzerInnen in Rollstühlen auf der Bühne performen. Das versteht die toughe Tänzerin zwar, aber langsam könnte es mal als normal gesehen werden.

Neben dem eigenen Tanzen im Ensemble war die Leipzigerin noch lange in der Diakonie am Thonberg beschäftigt, in verschiedenen Jobs, mal als Filzgestalterin, zuletzt als Mediengestalterin. „Ich war 21 Jahre in der Werkstatt, seit ich 17 war, wollte aber immer da raus“, erzählt Katja Mieder. „Das Konstrukt Werkstatt ist ja ganz schön, Du hast da Aufgaben, aber man muss sich überlegen, wie wenig man dort verdient. Aber mir blieb nichts anderes übrig.“ Die 41-Jährige hat einen „Lernbehindertenabschluss“, aber kein Abschlusszeugnis der 9. oder 10. Klasse. „Außerdem wurde mir mangelnde Konzentrationsfähigkeit und Ausdauer bescheinigt. Damit kommst Du nicht weit auf dem freien Arbeitsmarkt“, sagt sie in sachlichem Tonfall. „Mein Traum war immer eine Ausbildung im sozialen Bereich.“ Sie machte das Beste daraus und engagierte sich im Werkstattrat und später auch als Frauenbeauftragte. Warum? „Ich wurde gewählt und hatte die meisten Stimmen. Und ich wollte etwas bewegen, es hat mich interessiert“, ergänzt Katja Mieder. Vor allem auch für die Frauen: „Bei behinderten Frauen gibt es viele übergriffige Situationen. Ich kann mich gut in Frauen mit Handicap hineinversetzen, weil ich selbst eins habe. Und ich bin jemand, die sich durchsetzt. Ich fand es spannend, ein neues Amt aufzubauen, das es bis dahin noch gar nicht gab.“ Ein Frauencafé hatte die engagierte Leipzigerin vorher schon in der Werkstatt geleitet.  

„Lasst Euch nicht klein machen. Habt Mut und geht raus.“

Nach 21 Jahren in der WfbM beschloss Katja Mieder: „Das ist es nicht mehr. Ich verwirkliche jetzt meine Träume.“ Und diese bestanden inzwischen darin, sich in ihrem geliebten Tanzen weiterzuentwickeln. Es erfüllt sie, darin neue Ausdrucksmöglichkeiten für ihren Körper zu finden und diese auch anderen Menschen näher zu bringen. Zurzeit entwickelt sie mal wieder eine neue Kurzchoreographie, die im April auf die Bühne kommt. In der dreistufigen Tanzanleiterausbildung für Freies Tanzen konnte sie im Tanzlabor Leipzig weiter lernen und sich ausprobieren. In der darauffolgenden mixed-abled Anleiterausbildung entwickelte sie gemeinsam mit Choreografin Marlen Schumann Formen des Co-Teachings und brachte eigene Anleitungsübungen zum Thema Bewegungsqualitäten mit ein. „Die mixed-abled-Ausbildung läuft in Modulen an sechs Wochenenden im Jahr über drei Jahre“, erklärt Katja Mieder. „Zum Beispiel letztes Wochenende habe ich zusammen mit einer Choreografin an zwei Tagen je fünf Stunden lang ein Modul angeleitet. Vorher haben wir uns getroffen und besprochen, was vermittelt werden muss. Und ich habe selbst die ‚spastische Tanzanleitung‘ entwickelt, damit sich Andere zumindest etwas in meinen Körper einfühlen können.“  

Ungerecht ist die Welt des Tanzes – wie so viele Lebens- und Berufsbereiche - nach wie vor: „Andere TänzerInnen aus der freien Szene können die Palucca Hochschule für Tanz in Dresden besuchen und eine stinknormale Tanzausbildung machen. Menschen mit Behinderungen können das nicht“, bemängelt Katja Mieder. Zu gerne hätte sie dort selbst ihre Ausbildung absolviert. „Wir werden immer benachteiligt.“ – Wieder so ein kurzer und prägnanter Katja Mieder-Satz. Was Fakt ist, ist Fakt. Mitleid ist das letzte, was sie will. Aber gleichberechtigt am Leben teilnehmen, das will sie auf jeden Fall.

Als Künstlerin und Performerin trägt sie dazu bei, dass Inklusion und Teilhabe einen Schritt vorankommen. „Nicht jedes Ensemble muss inklusiv sein, aber fast jedes“, fordert sie. Ob sie sich als Vorbild sieht? „Das werde ich dauernd gefragt“, amüsiert sie sich. Ihre Botschaft an andere Menschen mit Einschränkungen heißt: „Lasst Euch nicht klein machen. Habt Mut und geht raus. Wenn Ihr dabei Hilfe braucht, sucht sie Euch.“ Dabei dürfe man sich Zeit lassen. „Bei mir war das auch ein Prozess.“ Vorhang auf, Bühne frei, Applaus für Katja Mieder!

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