„Gewaltschutz“ und „Kommunikation auf Augenhöhe“ als gelebte Haltung
Werkstatt Studjo bearbeitet beide Themen in inklusiven Workshops

Gewaltprävention und eine Kommunikation auf Augenhöhe gehören zu den zentralen Voraussetzungen für ein inklusives Miteinander in Werkstätten für Menschen mit Beeinträchtigungen. Im Rahmen des Programms Rückenwind³ des BMAS und der Europäischen Union erproben die Werkstätten Studjo des Evangelischen Johanneswerks, wie umfassender Gewaltschutz und Miteinander auf Augenhöhe gelingen können: Nicht durch neue Regeln allein, sondern durch einen kulturellen Wandel. Studjo ist der Zusammenschluss der ehemaligen Altenbochumer und Märkischen Werkstätten im westfälischen Bochum und im Märkischen Kreis.
Im Mittelpunkt des Projekts steht die gemeinsame Arbeit von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung an Strukturen, Sprache und Haltung. Inklusive Workshops zu den Themen Gewalt und Kommunikation auf Augenhöhe fördern Bewusstsein, Empathie und Selbstbestimmung im Arbeitsalltag. Sie thematisieren Gewalt in all ihren Facetten, reflektieren Ursachen und entwickeln Handlungsstrategien. Anschauliche Materialien in Leichter Sprache, kreative Lernformate und partizipative Methoden machen die Inhalte für alle zugänglich.
Die zugrundeliegende Absicht des Projekts geht noch tiefer. Es zielt ab auf eine nachhaltige Inklusion und auf die Sicherung der Zukunftsfähigkeit von Werkstätten, durch die Veränderung von Strukturen, Haltungen und Organisationskultur. Beispielhaft für andere Werkstätten und Sozialunternehmen soll Inklusion auf allen Ebenen verankert werden mit dem Ziel, Chancengleichheit zu verbessern und eine gemeinsame Kultur der Zusammenarbeit zu schaffen.
Das Besondere: Menschen mit und ohne Beeinträchtigung arbeiten gleichberechtigt im Projekt. Entscheidungen und Maßnahmen werden gemeinsam entwickelt, Ergebnisse aus der Praxis von allen getragen. Bereits 2022 änderte Studjo sein internes Wording: Aus „Beschäftigten“ wurden „Mitarbeitende“, ein erster sichtbarer Schritt zu mehr Gleichberechtigung. Darauf aufbauend entstanden Unterweisungsfilme, die nicht nur Sicherheitsthemen, sondern auch Haltung und respektvollen Umgang behandelten. Eine interne Befragung 2023 zeigte: Wertschätzende Kommunikation und Zusammenarbeit stoßen im Alltag oft auf strukturelle Grenzen. Mit dem Start von Rückenwind³ 2024 wird dieser Befund gezielt aufgegriffen. Die hochgestellte 3 steht für ein dreifaches M: Mitmachen. Mitgestalten. Mitentscheiden. Mit dieser Maxime soll das Projekt
- Organisationskultur und Führungsstrukturen weiterentwickeln,
- Kommunikations- und Partizipationswege stärken und
- ein gemeinsames Verständnis von Zusammenarbeit fördern.

Studjo – Rückenwind M3
Die Workshops zum Thema „Gewalt“
In der ersten Projektphase fanden am Standort Lüdenscheid 40 inklusive Tagesworkshops statt. Rund 20 Personen nahmen pro Veranstaltung teil, Mitarbeitende mit und ohne Beeinträchtigung, Gruppenleitungen, Verwaltungs- und Leitungskräfte. Menschen aus verschiedenen Bereichen kamen ins Gespräch, gleichberechtigt und mit vielfältigen Perspektiven. Die Workshops wurden jeweils von zwei ModeratorInnen geleitet: einem Projektmitarbeitenden, dem Vorsitzenden des Gesamtwerkstattrats bzw. der Frauenbeauftragten. Letztere waren eng in die barrierefreie Konzeption eingebunden.
Drei eigens entwickelte Erklärvideos führten in die Themen körperliche, psychische und sexualisierte Gewalt sowie Sachbeschädigung ein. Anhand von 100 bebilderten Beispielkarten in Leichter Sprache diskutierten die Teilnehmenden ihre Erfahrungen. Durch die gemeinsame Bewertung entstand eine niedrigschwellige Risikomatrix, die sichtbar machte, wo Konflikte und Belastungen liegen.
Weitere Inhalte waren das Erkennen von Mimik und Gestik, der Umgang mit aggressivem Verhalten sowie Übungen zu Selbstkontrolle und Emotionsregulation. Über eine interaktive LearningApp wurden Handlungsstrategien bei Gewalt erarbeitet. Das eigens entwickelte Brettspiel „Gewalt verhindere dich“ lud anschließend zum offenen Austausch über Gewaltprävention ein.
Für Mitarbeitende mit höherem Assistenzbedarf entstanden zusätzlich angepasste Lernformate. Moderator Martin Zmuda, Vorsitzender des Gesamtwerkstattrats, resümiert: „Ich bin überzeugt, dass der Workshop wirkt. Im Alltag ist es bereits spürbar.“
Die Workshops zum Thema „Kommunikation auf Augenhöhe“
Mit der zweiten Workshopreihe setzt Studjo einen weiteren Schwerpunkt: Augenhöhe als gelebte Praxis. Über ein Jahr hinweg befassen sich alle Mitarbeitenden mit Themen wie Macht, Verantwortung, Respekt und Mitbestimmung, zentrale Aspekte für gelingende Zusammenarbeit.
Gleich zu Beginn bestimmen die Teilnehmenden gemeinsam die Regeln. Einzelne übernehmen als „WächterInnen“ Verantwortung für deren Einhaltung, ein erster Schritt zu geteilter Verantwortung.
Im Block Machtgefälle und Verantwortung reflektieren die Gruppen, wie Macht im Werkstattalltag ausgeübt wird, wann sie hilfreich ist und wann sie Ungleichgewicht schafft. Anhand realer Beispiele entstehen ehrliche Diskussionen über faire Entscheidungsprozesse.
Der Abschnitt Respekt auf Augenhöhe widmet sich der Kommunikation. In Kleingruppen werden Gesprächsbeispiele analysiert: Welche zeigen Wertschätzung, welche Abwertung? Ein Teamspiel überträgt das Gelernte spielerisch in die Praxis.
Unter Möglichkeiten der Partizipation erkunden die Teilnehmenden unterschiedliche Formen der Beteiligung. Mithilfe eines Würfelspiels und einer Skala von „Fremdbestimmung“ bis „Selbstbestimmung“ reflektieren sie ihren Handlungsspielraum und bewerten nach Zufriedenheit.
Ab Frühjahr 2026 entstehen barrierefreie Formate für Mitarbeitende mit höherem Assistenzbedarf. Zudem übernehmen zunehmend Werkstattmitarbeitende selbst Moderationsaufgaben.

Das Gruppenboard: Partizipation mit System
Echte Teilhabe braucht Strukturen. Mit dem Gruppenboard hat Studjo ein praxisnahes Instrument geschaffen, das Partizipation im Alltag sichtbar und greifbar macht. Ein inklusiv besetztes Gremium, zu einem Drittel aus Mitarbeitenden mit Beeinträchtigung, entwickelte das Konzept und lieferte wichtige Impulse.
Ziel ist, Verantwortlichkeiten klar zuzuordnen, Abläufe transparent zu gestalten und Eigenverantwortung zu fördern. Eine Tages-Checkliste unterstützt die Arbeitsgruppen dabei, wiederkehrende Aufgaben zu planen und gemeinsam abzuschließen. So wird aus Routine gelebte Mitbestimmung. Jede Person übernimmt Verantwortung und erlebt Selbstwirksamkeit im Alltag.
Das Gruppenboard sichert Partizipation strukturell ab und stärkt die gleichberechtigte Zusammenarbeit.
Mehr als Prozesse: Ein Haltungswandel für gelebten Respekt
Studjo zeigt, dass nachhaltige Veränderung mit Haltung beginnt. Respekt, Anerkennung und Offenheit prägen den Umgang miteinander. „Nur wenn wir voneinander lernen, können wir Barrieren abbauen und gemeinsam wachsen“, sagt Projektmitarbeiter Marc Brenzel.
Ein sichtbares Ergebnis: Seit den Workshops werden mehr Gewaltvorfälle gemeldet. Was zunächst kritisch klingt, ist ein Zeichen wachsender Sensibilität. Die steigende Zahl zeigt, dass Menschen sich trauen, über schwierige Themen zu sprechen. Offenheit und Vertrauen sind zentrale Bestandteile des Gewaltschutzes. Studjo beweist, dass eine Kultur des Hinschauens, Zuhörens und Respekts der wirksamste Schutz vor Gewalt ist, und zugleich Grundlage echter Inklusion.
Die im Projekt Rückenwind³ entwickelten Konzepte und Erfahrungen stellt Studjo anderen Werkstätten zur Verfügung, als Einladung, Gewaltschutz und Augenhöhe gemeinsam zu leben.
Projektsteckbrief: https://www.bagfw-esf.de/projekte/3-aufruf/ev-johanneswerk-ggmbh
Kontakt:
Marco Urban-Matthoff, Projektkoordination
marco.matthoff(ät)johanneswerk.de
02351 / 9580-22

