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"Diese Arbeitsplätze werden das Bild der Werkstatt verändern“

Deutschlands erste inklusive Social-Media-Agentur startet unter dem Dach der Lebenshilfe Lüneburg

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 26. August 2025 | Textbeitrag

  Werkstätten, Kostenfreie Artikel

Mit dem Projekt „supersocial.projekt“ entsteht unter dem Dach der Lebenshilfe Lüneburg die erste inklusive Social-Media-Agentur Deutschlands. Gefördert durch den Europäischen Sozialfonds und die NBank arbeitet das vierköpfige Team eng mit Fachleuten und Kommunikationsprofis zusammen. Von Anfang an sind die Mitarbeitenden in echte Aufträge eingebunden – etwa beim Erstellen von Social-Media-Beiträgen für Lebenshilfe-Projekte wie den Zukunftstag oder die Jubiläumsfeier in Lüneburg, beim Gestalten von Flyern und Plakaten oder bei professionellen Fotoaufträgen. Das Ziel: Menschen mit Einschränkungen neue Wege in die digitale Arbeitswelt eröffnen und ihnen gleichzeitig dabei eine Stimme geben und sie so sicht- und hörbarer machen.

Wir sprachen mit dem Sozialpädagoge und Leiter des Projekts Marc Wolter und Katja Zobel, Bereichsleitung Werkstätten der Lebenshilfe Lüneburg über die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung, das notwendige Know-how und zukunftsweisende Arbeitsplätze.

KLARER KURS: Frau Zobel, Herr Wolter – wie kam es zu der Idee, eine inklusive Social-Media-Agentur zu gründen?

Katja Zobel: Der Ausgangspunkt war eigentlich ganz pragmatisch. Vor einigen Jahren haben wir uns in einem Workshop gefragt: Wie können wir als Lebenshilfe Lüneburg-Harburg unseren Social-Media-Auftritt verbessern? Dabei wurde schnell deutlich: Wir wollen nicht nur als Organisation sichtbar sein, sondern auch die Menschen, die bei uns arbeiten, stärker in den Fokus rücken.

Damals saßen allerdings nur Leitungen im Raum – keine Menschen, die selbst Teilhabeleistungen erhalten. Das war ein entscheidender Moment. Wir haben gesagt: Social Media machen wir nur dann richtig, wenn wir es gemeinsam machen. Und daraus hat sich die Idee entwickelt, eine inklusive Agentur aufzubauen.

Marc Wolter: Uns war wichtig, dass nicht nur über Menschen mit Behinderung gesprochen wird, sondern dass sie selbst Inhalte entwickeln und gestalten. Eine Agentur ist dafür der richtige Rahmen: Sie arbeitet projektorientiert, kreativ und nahe an den Themen, die die Gesellschaft bewegen.

Was ist an diesem Ansatz neu im Vergleich zu einer klassischen Werkstatt?

Katja Zobel: Normalerweise würde man vielleicht eine neue Werkstattgruppe eröffnen, wenn man ein zusätzliches Arbeitsfeld erschließen möchte. Wir haben uns bewusst dagegen entschieden. Stattdessen wollten wir ein Format entwickeln, das näher an der Realität des allgemeinen Arbeitsmarktes liegt – ein Start-up sozusagen.

Marc Wolter: Genau. In der Agentur arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung zusammen, übernehmen echte Aufträge und erlernen dabei Schritt für Schritt die nötigen Kompetenzen. Das unterscheidet sich deutlich von klassischen Werkstattstrukturen. Es geht darum, Arbeitsplätze zu schaffen, die auch auf dem regulären Arbeitsmarkt Bestand haben können.

Wie sieht das Team aktuell aus?

Marc Wolter: Im Moment sind wir sieben Personen – das Team wächst aber noch. Mit dabei sind Mitarbeitende mit Behinderung, die bislang auf ausgelagerten Werkstattplätze arbeiten, und Fachkräfte aus den Bereichen Fotografie, Grafikdesign und Social Media, die bei der Lebenshilfe Lüneburg angestellt sind. Aber alle arbeiten auf Augenhöhe zusammen.

Katja Zobel: Unser Ziel ist klar: Wir wollen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze schaffen, und zwar ohne Unterschiede. Ob uns das gelingt, daran messen wir den Erfolg dieses Projekts.

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Welche Unterstützung gibt es für das Projekt?

Katja Zobel: Gefördert wird die Agentur vom Land Niedersachsen und über den Europäischen Sozialfonds. Insgesamt stehen 583.000 Euro zur Verfügung, die über die Richtlinie „Soziale Innovation“ bereitgestellt werden.

Marc Wolter: Dazu kommt die Zusammenarbeit mit der Beratungsagentur Mandarin Care. Sie bringt Expertise in digitaler Kommunikation und Unternehmensgründung in der Sozialwirtschaft ein. Ohne diese externe Unterstützung wäre das Projekt in dieser Form nicht möglich.

Was für Aufgaben übernimmt die Agentur „supersocial.projekt“ konkret?

Marc Wolter: Wir erstellen Social-Media-Beiträge, Fotos, Videos und Texte. Aktuell arbeiten wir vor allem für unsere eigenen Projekte, also für die Lebenshilfe selbst. Zum Beispiel haben wir Beiträge zum Zukunftstag produziert, eine Jubiläumsfeier begleitet oder Flyer und Plakate gestaltet.

Katja Zobel: Aber wir wollen uns nach und nach auch für externe Aufträge öffnen. Es gibt schon gemeinnützige Organisationen, die Interesse signalisiert haben. Das ist wichtig, denn nur wenn wir auch am Markt auftreten, können wir echte Alternativen zur Werkstatt bieten.

Wie funktioniert das gemeinsame Arbeiten im Alltag?

Marc Wolter: Alle müssen voneinander lernen. Die Kolleginnen und Kollegen mit Behinderung eignen sich nach und nach Fachkenntnisse in Fotografie, Grafik oder Social Media an. Wir Fachkräfte wiederum müssen lernen, Wissen flexibel zu vermitteln – und dabei individuelle Fähigkeiten und Lernzeiten zu berücksichtigen. Manchmal heißt das auch, Perfektionismus loszulassen.

Katja Zobel: Wir haben moderne Büroräume in Winsen angemietet, bewusst unabhängig von unseren Werkstattstandorten. Damit haben wir einen Arbeitsplatz geschaffen, der sich anfühlt wie ein normaler Job in der Kreativwirtschaft – nicht wie ein Sonderbereich.

Welches Ziel verfolgen Sie langfristig?

Katja Zobel: Wir wollen zeigen, dass Menschen mit Behinderung auch in einem modernen, digitalen Arbeitsfeld erfolgreich tätig sein können. Wenn es uns gelingt, aus ausgelagerten Werkstattplätzen reguläre Jobs zu machen, dann haben wir wirklich etwas erreicht.

Marc Wolter: Ich bin überzeugt: Diese Arbeitsplätze werden das Bild der Werkstatt verändern. Wir können nicht in unserer kleinen, abgeschlossenen Welt bleiben. Inklusion bedeutet, neue Wege zu gehen – und genau das tun wir hier.

Frau Zobel, Herr Wolter, vielen Dank für das Gespräch

Nicht über uns ohne uns – Öffentlichkeitsarbeit mit Werkstattbeschäftigten

Wer einen Eindruck in die Arbeitsweise einer inklusiven Redaktion bekommen möchte, ist eingeladen zu einem inklusiven Workshop bei der caput-Redaktion der Iserlohner Werkstätten.
Wie lässt sich ein inklusives Redaktionsteam aufbauen oder eine erfolgreiche Social-Media-Gruppe etablieren? Welche Formate sind geeignet, welche Herausforderungen sind zu meistern, und wie lässt sich das Ganze finanzieren?
Diese und weitere Fragen stehen im Mittelpunkt des Workshops "Nicht über uns ohne uns – Öffentlichkeitsarbeit mit Werkstattbeschäftigten".

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