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Spitzenkoch Tim Mälzer qualifiziert Alltagshelfer im Altenheim

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Alltagshelferin Tanja Blath und Bewohnerin Lisa Huckels im Altenzentrum St. Johannes in Mayen ©Caritas Werkstätten

 09. September 2025 |  Gudrun Heyder | Textbeitrag

  Berufliche Bildung, Durchlässigkeit und Übergänge, Kostenfreie Artikel, Gute Praxis - die Reportage

Menschen mit Beeinträchtigung können bei der Aktivierung und Begleitung von alten Menschen wunderbar unterstützen. Das hat ein Projekt im Caritashaus Herbstresidenz eindrucksvoll bewiesen. Junge Werkstattbeschäftigte haben in der Einrichtung der Caritas in Bernkastel-Kues 2024 während der Dreharbeiten für eine TV-Doku mit Fernsehkoch Tim Mälzer und Schauspieler André Dietz mitgearbeitet. Dort und in einem Nachfolgeprojekt der St. Raphael Caritas Alten- und Behindertenhilfe GmbH wurden insgesamt 17 Alltagshelfer und Alltagshelferinnen qualifiziert.

Perspektive auf dem Arbeitsmarkt

Viele Altenheime kooperieren bereits mit WfbM. Erst in Hamburg und später auch anderswo hat es schon seit 25 Jahren Qualifizierungsgänge zu Alltagshelfern gegeben. Aber das hier war anders! Die Idee für die im Frühling 2025 gesendete VOX-Doku hieß: Zehn bundesweit gecastete junge Menschen mit Beeinträchtigung kümmern sich in einer Senioreneinrichtung um alte Menschen und verschönern ihnen das Leben. Zugleich erhalten sie eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt. Es kommt häufig vor, dass junge beeinträchtigte Leute mit Senioren oder auch Kindern arbeiten möchten. Im Altenzentrum St. Nikolaus konnten sie das tun. Promikoch Tim Mälzer buchte sich selbst als Bewohner ein, um die Bewohner und Bewohnerinnen in der Einrichtung kennenzulernen. Der Schauspieler André Dietz widmete sich vor allem den Menschen mit Behinderung, eins seiner vier Kinder hat eine Behinderung. 

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Caritashaus Herbstresidenz Bernkastel Kues
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Die zehn Teilnehmenden des Inklusionsprojekts im Altenzentrum St. Johannes in Mayen ©Caritas Werkstätten

Großer Mehrwert für alle Beteiligten

Beeinträchtigte Menschen, Kameraleute und Aufnahmeleiter sind gemeinsam im Altenzentrum? „Mein Kollege Manfred Kappes, der Leiter von St. Nikolaus, war überzeugt von dem Projekt und hat zugestimmt, drei Monate lang ein Filmteam im Haus zu haben“, erzählt Christoph Hüging, Leiter der Caritas Werkstätten in Mayen und Polch. „Die Zusammenarbeit mit der Produktionsfirma war angenehm“ und im Laufe der Dreharbeiten wurde der große Mehrwert immer sichtbarer, Menschen mit Behinderung in den Alltag der Senioren und Seniorinnen einzubinden. Hüging spricht von einer „Win-Win-Win-Situation“, die sich aus dem Projekt entwickelt habe: Die jungen Leute können sich in einer sinnvollen Aufgabe verwirklichen und weiterentwickeln, die alten Menschen haben Freude an den zusätzlichen Ansprechpartnern und die Fachkräfte sind entlastet und haben mehr Zeit für ihre fachlichen Tätigkeiten.

Qualifizierung erfolgreich absolviert

Geschäftsführer Thomas Buckler ergänzt: „Die Mitarbeitenden haben durch viele neue Impulse eine andere Sicht auf die Pflege und Betreuung in unserer Einrichtung bekommen.“ Und Prokurist Oliver Winter hebt hervor, das Projekt habe auch gezeigt, wie sich mit Kreativität und einfachen Mitteln das wohnliche Umfeld besser gestalten lasse. Neun Menschen mit Beeinträchtigung haben im Projektzeitraum die Qualifizierung zu Alltagshelfern erfolgreich absolviert und können auch über das Projekt hinaus in der Einrichtung arbeiten. Vier von ihnen sind derzeit im Wohnbereich und in der Tagespflege tätig. Integrations-Assistenten der zuständigen Werkstatt begleiten sie. Ein Alltagshelfer wurde bereits in ein SV-Arbeitsverhältnis mit Hilfe des Budgets für Arbeit übernommen.

„Gamechanger“: Eine enge Begleitung und Gruppe

„Ein Gamechanger beim Inklusionsprojekt im Altenzentrum ist, wenn pädagogische Kräfte die Menschen aus WfbM zu Beginn sehr eng begleiten“, lautet Christoph Hügings Erfahrung. Das Problem ist dabei wie so oft die Finanzierung und die Ressourcen. Der normale Betreuungsschlüssel von 1:12 ist im Alltag von Außenarbeitsplätzen schwieriger umzusetzen. Ein weiteres Problem: Viele Werkstattbeschäftigte haben Potential, trauen sich die Arbeit in einer fremden Umgebung aber nicht zu. Daher der zweite „Gamechanger“: Was enorm hilft, ist, in einer Gruppe vertrauter Kollegen und Kolleginnen ins Ungewisse zu springen, anstatt einzeln in ein neues Umfeld integriert zu werden. „So ist es kein harter Schnitt von der Gruppe der Werkstatt in den Außenarbeitsplatz“, verdeutlicht Hüging. Geht es später um SV-Arbeitsplätze, haben die ohnehin stark unter Finanzdruck stehenden Alteneinrichtungen eine weitere Hürde: „Der Einsatz der Alltagshelfer als zusätzliche Mitarbeitende muss über die Pflegesätze finanziert werden.“

Acht weitere Alltagshelfer und Alltagshelferinnen

St. Raphael hat angesichts der Erfolge im TV-Projekt „Herbstresidenz“ zu Jahresbeginn 2025 ein weiteres Inklusionsprojekt in der Eifel gestartet. „Zehn Beschäftigte mit Beeinträchtigung aus unseren eigenen Werkstätten in Mayen und Polch arbeiten seitdem in unserem Altenzentrum St. Johannes („Klösterchen“), erklärt Hüging. Acht von ihnen wurden ebenfalls ausgebildet. „Durch diese Qualifizierung in den Bereichen Betreuung und Hauswirtschaft können sie verschiedene Aufgaben übernehmen“, so Christoph Hüging. Acht WfbMler arbeiten am Empfang und eine beim Hausmeister. „Unsere neuen Kolleginnen und Kollegen bereichern das Leben und Arbeiten in unserer Einrichtung ungemein", lobt St. Johannes-Leiterin Christiane Jeub. Die Beschäftigten wirken an der Aktivierung und Begleitung der Bewohner und Bewohnerinnen im Rahmen des neuen Hausgemeinschafts-Konzepts mit, in dem die Senioren und Seniorinnen sich in kleinen Wohngruppen mehr in den Alltag einbringen können. Zwei Integrationsassistenten unterstützten die Menschen aus den WfbM dort zunächst in Vollzeit und zogen sich laut Hüging erst zurück, „als die Beschäftigten so weit waren“.

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Bewohnerin Marlies Fischer und Alltagshelfer Guido Eschweiler im Altenzentrum St. Johannes in Mayen ©Caritas Werkstätten
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Alltagshelfer Andreas Henseler (Altenzentrum St. Johannes) bei der Zertifikatsübergabe in der Pflegeschule Daun. Dahinter: Einrichtungsleiter Christoph Hüging ©Caritas Werkstätten

Neues Schulungskonzept entwickelt

Das Weiterbildungszentrum an der Pflegeschule Daun, an der St. Raphael beteiligt ist, leistete die schulische Ausbildung und Anleitung der Teilnehmenden. „Das war Neuland; sie haben für uns ein Schulungskonzept mit 106 Lerneinheiten entwickelt“, berichtet Hüging. Die Lernenden waren zweimal in der Woche in der Schule und konnten das neue Wissen dann direkt in der Praxis umsetzen. „Ihre Beschäftigung hat einen großen Mehrwert für die alten Menschen; sie nehmen die Langeweile raus“, sagt Hüging zufrieden. „Da entstehen tolle Beziehungen zwischen den Jungen und Alten.“ Eine junge Frau etwa spielt mit Freude und Ausdauer stundenlang „Mensch ärger Dich nicht“ mit den Bewohnerinnen und macht Bewegungsübungen. „Das ist sehr hilfreich! Alte Menschen brauchen außerdem viele Gespräche, was die examinierten Kräfte oft aus Zeitnot nicht leisten können.“

Andere Einrichtungen fragen an

Das verbesserte Miteinander in beiden Inklusionsprojekten habe sich „in der Szene“ herumgesprochen, so Hüging. „Andere Alteneinrichtungen fragen inzwischen an, wie sie so etwas auch verwirklichen könnten.“ Die Pflegeschule Daun bietet nicht nur die bedarfsgerechte Qualifizierung an, sondern bildet diese auch danach weiter. Aktuell nehmen die Alltagshelfer aus dem Caritashaus Herbstresidenz und dem Altenzentrum St. Johannes an einer Fortbildungsreihe zum gesunden Alltag teil. Dabei geht es beispielsweise um den Umgang mit Stress sowie die eigene Ernährung und Bewegung.

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Alltagshelferin Michaela Lewko und Bewohnerin Margareta Boos im Altenzentrum St. Johannes in Mayen ©Caritas Werkstätten

Pflegepreis Rheinland-Pfalz 2024

Für das Gemeinschaftsprojekt zur beruflichen Integration von Menschen mit Behinderung haben das Altenzentrum St. Nikolaus und das Weiterbildungszentrum an der Pflegeschule Daun den Pflegepreis Rheinland-Pfalz 2024 erhalten. 

Die Caritas Werkstätten bieten berufliche Bildung und attraktive Arbeitsplätze an insgesamt acht Werkstattstandorten an. Wenn Beschäftigte außerhalb dieser arbeiten möchten, werden sie nach ihren Bedürfnissen, Wünschen und Fähigkeiten in den allgemeinen Arbeitsmarkt integriert. Von rund 1.000 Beschäftigten im Werkstattverbund arbeiten aktuell mehr als 100 Beschäftigte außerhalb der Werkstätten in regionalen Betrieben. Mit dem Projekt in Mayen sind zehn weitere hinzugekommen.

Klarer Kurs-Tagung: Berufswunsch „Arbeit mit Kindern und Senioren“

Die Tatsache, dass viele (junge) Menschen mit Behinderung gerne mit Kindern oder Seniorinnen arbeiten möchten, ist nicht neu. Ebenso nicht die Erkenntnis, dass beide Tätigkeitsbereiche gute Arbeitsplätze bieten. Denn Kindergärten wie Seniorenheime eröffnen spannende Einsatzmöglichkeiten, die für alle Beteiligten gewinnbringend sind. Höchste Zeit also für eine Fachtagung, die zeigt, wie solche Arbeitsplätze in der Praxis gestaltet werden können, welche Hürden es gibt und wie berufsbegleitende Qualifizierungen aussehen können. Praxisberichte und konkrete Beispiele geben Antworten auf zentrale Fragen von der Akquise bis zur Finanzierung.

Mehr Informationen zu Fachtagung „Berufswunsch „Arbeit mit Kindern und Senioren“ finden Sie hier.

 

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