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Vermittlungen seit 1992: Die Hamburger Arbeitsassistenz

Einen Einblick in die erfolgreiche Arbeitsweise eines Fachdienstes

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 24. Juni 2025 |  Dieter Basener | Textbeitrag

  Weiterentwicklung der beruflichen Teilhabe

Die Hamburger Arbeitsassistenz (HAA) ist seit vielen Jahren Vorreiter bei der Umsetzung Unterstützter Beschäftigung in Deutschland. Bis heute hat sie mehr als 1.000 Menschen mit einer Werkstattberechtigung geholfen, eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt aufzunehmen. Sie hat damit gezeigt, dass die Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt auch Menschen gelingen kann, denen das von vielen Fachleuten nicht zugetraut wurde. Als Modellprojekt 1992 gestartet, gehört die Hamburger Arbeitsassistenz heute zur regulären Angebotspalette der beruflichen Rehabilitation in Hamburg.

Betriebliche Berufsbildung – Der Weg ins Arbeitsleben

Ursprünglich nicht Teil des Konzepts, ist die betriebliche Berufsbildung heute ein zentrales Element der Hamburger Arbeitsassistenz. Sie erleichtert den Übergang von der Schule in den Beruf, dient der Orientierung und dem Hineinwachsen in betriebliche Aufgaben.

Praktische Orientierung statt Theorie

Der Einstieg erfolgt meist über den Kontakt zu Arbeitgebern oder Personalverantwortlichen. Gemeinsam mit den direkten Vorgesetzten und der Arbeitsassistenz wird ein geeigneter Arbeitsplatz gefunden, orientiert an den Fähigkeiten und Interessen der Teilnehmer. Einer der langjährigen Kooperationsbetriebe ist die Firma Globetrotter. Dort werden erste praktische Erfahrungen etwa im Lager, in der Küche oder im Bereich Haustechnik gesammelt.

Praktika mit System

Zum Start jedes Praktikums werden Verträge mit Betrieb und Teilnehmer abgeschlossen. Anfangs wechseln die Einsatzorte etwa alle drei bis vier Monate, im zweiten Jahr sind längere Phasen üblich. In Einzelfällen kann ein Praktikum auch bis zu zwölf Monate dauern – etwa bei Übernahmeoption oder bei vielfältigen Lernfeldern. Die wöchentliche Arbeitszeit liegt im Schnitt bei sieben Stunden pro Tag, wobei der Einstieg auch kürzer gestaltet werden kann.

Lernen durch Erfahrung – begleitet und reflektiert

Alle Praktika werden von Reflexions- und Übungsphasen sowie den Bildungsangeboten der Hamburger Arbeitsassistenz wie „KuKuK“ oder „Talente“ begleitet. Diese stärken Schlüsselkompetenzen und fördern die persönliche Entwicklung. Der Umgang mit sensiblen Informationen wird sorgfältig abgestimmt. Nur das Nötigste wird offen kommuniziert, etwa, wenn jemand nicht eigenständig Pausenzeiten erkennen kann. „Mit Offenheit kann man Betriebe ins Boot holen“, sagt Arbeitsassistentin Marie-Theres Löring.

Die richtigen Ansprechpersonen im Betrieb

Eine zentrale Aufgabe der Arbeitsassistenz ist es, geeignete Kolleg*innen im Betrieb gezielt auszuwählen und zu aktivieren, nicht unbedingt die lautesten, sondern die anerkannten. Die Beziehung wird bewusst aufgebaut. Gezielte Rückmeldungen der Betriebe und Teilnehmer fließen regelmäßig in die Begleitung ein.

Wenn’s mal nicht passt

Gerade in der Anfangsphase kann es zu Schwierigkeiten kommen, etwa durch Überforderung oder Missverständnisse. Dann wird gemeinsam mit Betrieb und Teilnehmer nach Lösungen gesucht. Manchmal ist auch ein Wechsel sinnvoll. Die HAA kann in solchen Fällen kurzfristig auf ein großes Netzwerk zurückgreifen,  etwa auf Cafeterien mit niedrigschwelligen Einsatzmöglichkeiten. Ausweichplätze gibt es auch in einem eigenen kleinen Integrationsbetrieb.

Berufsschultag und Perspektive

Einmal wöchentlich besuchen alle Teilnehmer die Berufsschule – als Ort des Austauschs, der Reflexion und der persönlichen Weiterentwicklung. Sollte nach zwei Jahren keine Vermittlung gelingen, kann ein Integrationspraktikum angeschlossen werden, das die Chancen auf einen Arbeitsplatz erhöht. Leistungsträger für diese zeitlich begrenzte Verlängerung der Erprobungszeit ist die Hamburger Sozialbehörde. Die HAA galt vor dem BTHG als „Sonstige Betriebsstätte“, heute ist sie ein „Anderer Leistungsanbieter“.

Nicht selten bieten Betriebe schon vor Ablauf der zwei Jahre feste Stellen an. Dann bremst die HAA auch mal bewusst: „Dies ist oft die einzige Chance auf berufliche Bildung – diese Zeit sollte man für Erfahrungen nutzen“, betont Andrea Klüssendorf.

Das Profil der Arbeitsassistenten

Die Arbeitsassistenten – meist mit sonder- oder sozialpädagogischem Hintergrund – machen rund 90 % des Personals aus. Fachliche Spezialisierung ist willkommen, doch entscheidend sind pädagogisches Geschick, Analysefähigkeit und Sicherheit im betrieblichen Alltag. „Es handelt sich um eine Aufgabe im Schnittfeld Arbeitswelt und Pädagogik“, heißt es im Leitbild der HAA.

Neulinge werden über ein systematisches Einarbeitungskonzept an die Aufgabe herangeführt. „Wer bei uns neu anfängt, bekommt einen festen Partner zur Seite gestellt [...] und beginnt dann mit der ersten Arbeitsbegleitung im Tandemsystem“, berichtet Marie-Theres Löring, langjährige Arbeitsassistentin bei der HAA.

Bild Vermittlungen seit 1992: Die Hamburger Arbeitsassistenz
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Begleitung im Tandem

Jede Begleitung erfolgt durch zwei Assistenten, die sich abstimmen und vertreten können. „Wir schauen, wer zum Teilnehmer passen könnte – auch muttersprachliche Unterstützung spielt manchmal eine Rolle“, so Löring. Der erste Arbeitstag soll möglichst „betriebsüblich“ verlaufen – mit Unterstützung nur dort, wo nötig.

Gerade zu Beginn ist die Begleitung intensiv. „Anfangs unterstützen wir täglich“, sagt Arbeitsassistent Berthold Grund. Mit der Zeit verringert sich der Aufwand, aber nicht zu abrupt: „Unsere Präsenz hilft auch, Betriebskontakte zu festigen“, ergänzt Löring.

Pädagogik im Betrieb

Die Assistenten begleiten zum Teil aktiv im Arbeitsprozess – nicht zur Absicherung der Produktivität, sondern als Teil der Qualifizierung. „Manchmal muss man mitarbeiten, um zu verstehen, wo die Schwierigkeiten liegen“, sagt Löring. Wichtig ist, Erfolge zu ermöglichen und Selbstständigkeit zu fördern: „Der größere Gewinn liegt darin, dass der Teilnehmer die Dinge selbst regelt.“

Die Rolle der Arbeitsassistenten wird nicht immer sofort verstanden. „Wichtig ist, dass die direkten Kollegen es verstehen“, meint Löring. Eine zentrale Aufgabe ist daher, soziale Netzwerke im Betrieb aufzubauen, durch Offenheit, Freundlichkeit und gezielte Unterstützung bei Verhaltensauffälligkeiten oder Unsicherheiten.

Auf dem Weg zum Arbeitsvertrag

In der Phase vor Vertragsabschluss verschiebt sich der Fokus: „Dann setzen wir unsere Energie in die Beratung der Arbeitgeber“, sagt Löring. Dazu gehören Informationen zu Förderungen, zur Ausstattung des Arbeitsplatzes und zur Stabilisierung des Arbeitsverhältnisses.

Nicht immer ist der Weg geradlinig. Ein Vater berichtet: „Freunde wollten Matti einstellen – die Arbeitsassistenz hat die Tätigkeit für ihn organisiert. Diesen Arbeitsplatz gab es vorher gar nicht.“

Die Rolle der Betriebskollegen

Langfristiger Erfolg hängt maßgeblich vom Engagement der Kollegen ab. Arbeitsassistentin Andrea Klüssendorf: „50 % unserer Zeit investieren wir in den Betrieb und die Ansprechpartner.“ Diese benötigen häufig auch Anleitung zur Kommunikation: „Wie gebe ich klare, einfache Anweisungen?“ Das betrifft nicht nur direkte Kollegen, sondern auch Vorgesetzte oder Springer.

Ein festes Ansprechpartnermodell gibt es bei der HAA nicht. „Allzu feste Ansprechpartner machen abhängig“, so Löring – Flexibilität ist das Ziel.

Bei der Firma Globetrotter z. B. übernimmt der Bereichsleiter Verantwortung wie bei jedem anderen Mitarbeitenden. Personalleiterin Katharina Benson betont: „Das ist Normalisierung und ergibt sich ganz schnell.“ Und oft gehen die Kolleg*innen über das Übliche hinaus: „In besonderen Lebenssituationen haben die Mitarbeiter ein tolles Einfühlungsvermögen entwickelt“, beobachtet Berthold Grund.

Betriebliche Entwicklung

Diese Prozesse bewirken nicht nur bei den Teilnehmern Veränderungen – auch die Betriebe profitieren. „Ich bin überzeugt, dass viele Unternehmen durch die Kooperation mit uns unheimlich viel gelernt haben“, so Klüssendorf. Die Sensibilität wächst, ebenso Kommunikationsfähigkeit und Teamkultur.

Begleitung auch nach dem Vertrag

Selbst nach Abschluss eines Arbeitsvertrags bleibt die HAA erreichbar, ob bei einem Wechsel im Betrieb oder in Krisensituationen. „Wir haben auch schon Unterstützung ohne Extrafinanzierung geleistet“, so Grund. Im Bedarfsfall kann ein Antrag gestellt werden.

* Dieser Text besteht aus gekürzten Auszüge aus dem Buch "Das Original der Unterstützten Beschäftigung – Die Hamburger Arbeitsassistenz" aus dem Jahr 2010. In Bezug auf Personen und genannte Firmen sind inzwischen zum Teil Veränderungen eingetreten. Die Grundaussagen sind aber weiterhin gültig.

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