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Zum Tode von Klaus Dörner

Ein persönlicher Nachruf

Bild Zum Tode von Klaus Dörner
Portraitfoto von Klaus Dörner aus dem Psychiatrie Verlag

 05. Oktober 2022 |  Anton Senner | Textbeitrag

  Kostenfreie Artikel, Gastbeitrag

Klaus Dörner verstarb am 25. September 2022 im Alter von 88 Jahren. Sein Denken und Schaffen hat einen tiefgreifenden Einfluss auf das Verständnis von psychischer Krankheit und deren Einordnung in die gesellschaftliche Wirklichkeit ausgeübt. Er entwickelte eine zutiefst humane Haltung den Ursachen und Wirkungen seelischer Verletzungen gegenüber.

In seinem Werk "Bürger und Irre" zeigte er auf, wie gesellschaftliche Gewaltstrukturen der bürgerlichen Gesellschaft sich des Individuums in einem historischen Prozess bemächtigten und dieses ausgrenzten. In Anstalten wurde eingesperrt, was sich einer normativen Lebens- und Erlebensweise entzog. Gemeinsam mit Uschi Plog, Thomas Bock u.a. verfasste er das Lehrbuch "Irren ist menschlich", das für Generationen von Psychiatrie-Erfahrenen, Angehörigen und professionell Helfenden das Standardwerk des psychiatrischen Verstehens und Wirkens wurde und bis heute auch noch ist.

Mit großer rhetorischer Begabung, einer klaren Vision und unglaublicher Energie verfolgte er zeitlebens das Ziel, Zwang und Entmenschlichung in der Psychiatrie – und später: in der Altenhilfe – abzubauen und menschenwürdige Strukturen und Behandlungsansätze zu fördern. Der Prozess des Abbaus von psychiatrischen Großkrankenhäusern und der Aufbau gemeindeorientierter Strukturen ist wesentlich von ihm angestoßen und vorangetrieben worden.

Persönlich hatte ich das große Glück, die letzten 25 Jahre seines Lebens mit ihm Tür an Tür in einem Haus leben zu können. Nach dem Ende seiner Tätigkeit als Klinikdirektor in Gütersloh zog er nach Hamburg-Eppendorf und entfaltete eine unglaubliche Reise- und Vortragstätigkeit. Ausgestattet mit einer Bahncard 100 fuhr er praktisch jeden Tag in eine andere Stadt in der Bundesrepublik und kehrte abends immer wieder zurück – auch von Freiburg, wenn es sein musste. Andernorts übernachten mochte er nicht. Wenn er in der Nacht in seine Schreibmaschine hämmerte, wussten wir, dass er wieder wohlbehalten heimgekehrt war. Als der Körper nicht mehr reisen wollte, begann er sich tiefer mit philosophischen Werken zu beschäftigen und sogar auch mal einen Roman zu lesen.

Die letzten Jahre verbrachte er ruhig mit seiner Frau Suse und wir kamen uns in dieser Zeit noch näher. Meine Familie und ich verlieren in ihm einen warmherzigen Nachbarn, der bis zuletzt durch sein Strahlen und seine Herzlichkeit zu berühren vermochte.

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