Arbeit als zentrales Element der Teilhabe in Förderstätten
Ein Besuch bei der Förderstätte der Pfennigparade Perspektive GmbH

Stefan Mayr, Pfennigparade Perspektive GmbH
Stefan Mayr ist eine der prägenden Persönlichkeiten der Förderstätte der Pfennigparade Perspektive GmbH und das "lebendige Archiv" der Einrichtung. Seit ihrer Gründung in den 1990er Jahren gehört er zu ihren Nutzern, den "Reha-Kunden", wie die offizielle Bezeichnung lautet. Mit Stolz und einem Augenzwinkern sagt er: "Ich habe diese Firma mit aufgebaut." Und er hat Grund dazu, stolz zu sein. Als andere Förderstätten der Republik noch ausschließlich Betreuung und Tagesstruktur als ihre Aufgabe ansahen, spielte in der Perspektive das Thema Arbeit schon eine zentrale Rolle. Und Stefan Mayr war an allen Arbeitsangeboten beteiligt. Er verkörpert das Herzstück der Einrichtung: Selbstbestimmung, Teilhabe an Arbeit und Bildung sowie das Schaffen immer wieder neuer Perspektiven durch unkonventionelle Ideen.
Der Tagesablauf: Flexibilität meets Routine
Der Tag in der Förderstätte beginnt morgens um 9.00 mit einem Kaffee in der Stammgruppe und einer kurzen Besprechung des Tagesprogramms. Um 10 Uhr morgens herrscht dann lebhaftes Treiben in den Fluren. Reha-Kunden und Mitarbeiter wechseln für zwei Stunden in die Arbeitsangebote. Sechs Bereiche stehen zur Auswahl. Einmal pro Woche, am Mittwoch, gibt es zudem Arbeitsmöglichkeiten außerhalb der Förderstätte. Der Name des Angebots: "Think Free". Die Reha-Kunden entscheiden sich jährlich für vier Angebotsbereiche, die sie wochenweise durchlaufen. Stefan Mayr arbeitet gerade im Kreativbereich, letzte Woche war er in Social Media und Events aktiv.
Zwei Stunden dauert die Arbeitsphase, dann kehren alle wieder in ihre Stammgruppe zurück, essen zu Mittag, erholen sich und verbringen den Nachmittag mit Tätigkeiten, für die sie sich gemeinsam entschieden haben. Um 16:15 Uhr endet der Tag. Dieses dynamische Modell prägt den Alltag der Förderstätte, die seit über 30 Jahren Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf begleitet.
Simone Kreitenweis, Förderstättenleiterin
Simone Kreitenweis, Förderstättenleiterin
Struktur und Entwicklung: Von der Elterninitiative zur Spezialeinrichtung
Die Pfennigparade Perspektive GmbH bietet 91 Plätze, darunter 15 in einer Werkstatt-orientierungsgruppe. Einen Schwerpunkt der Reha-Kunden bilden Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen (MeH), andere sind schwer körperlich beeinträchtigt, häufig mit Zusatzdiagnosen. Es gibt therapeutische Angebote wie Physio-, Ergo- und Logotherapie. Auch eine individuelle 1:1-Unterstützung für pflegerische Bedürfnisse ist möglich.
Gegründet wurde die Einrichtung in den 1990er Jahren von einer Elterninitiative, als Förderstätte für körperbehinderte Menschen. Einrichtungsleiterin Simone Kreitenweis erläutert die Absicht: "Ziel der Eltern war es von Beginn an, Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen und hohem Unterstützungsbedarf über geeignete Methoden und Hilfsmittel in die Arbeitswelt einzubinden." Als das Angebot etabliert war, zogen sich die Eltern aus der unmittelbaren Verantwortung zurück und übergaben die Trägerschaft an die Münchener Stiftung Pfennigparade. Die war nach dem Krieg als Bürgerbewegung zur Unterstützung von Menschen mit Poliomyelitis, der Kinderlähmung, entstanden, inspiriert durch den US-amerikanischen "March of Dimes". Im Laufe der Jahre entwickelte sie ein breit gefächertes Angebot.
Die Eingangsgruppe und die Arbeitsbereiche: Für jeden der richtige Platz
Neue Reha-Kunden starten in einem Eingangsbereich, der "PerspektivGruppe", die ihnen hilft, eigenen Stärken und Wünsch sowie ihren Platz im Angebot der Förderstätte zu finden. Innerhalb eines Jahres können sie verschiedene Gruppen und Arbeitsbereiche testen. "Es geht darum, herauszufinden: Was passt zu mir?", erklärt die Leiterin Simone Kreitenweis. "Für manche ist die Förderstätte eine Durchgangsstation zur Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), für andere ein dauerhafter Ort der Teilhabe."
Nach diesem Jahr, die Zeit kann auch kürzer oder länger ausfallen, erfolgt der Übergang in eine feste Gruppe. Acht dieser Stammgruppen sind in den beiden Förderstätten-Gebäuden untergebracht, die Werkstatt-orientierungsgruppe als Übergangsmöglichkeit in der benachbarten WfbM.
Neben der Eingangsgruppe nehmen zwei weitere Stammgruppen nicht am täglichen Wechsel in die Arbeitsphase teil: Eine Gruppe für Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen konzentriert sich auf lebenspraktische Skills, die Entwicklung neuer Perspektiven und kleine Arbeitsaufgaben. Die Alltagshelden bereitet Reha-Kunden auf ihren bevorstehenden Ruhestand vor und bietet unter anderem Biographiearbeit. Hier stehen die Entschleunigung und der Übergang in den neuen Lebensabschnitt im Mittelpunkt.
Für alle andern stehen folgende Bildungs- und Arbeitsbereiche zur Verfügung:
- Bestellung und Büro: Tätigkeiten für die Förderstätte und die Verwaltung der Pfennigparade
- Umwelt & Nachhaltigkeit: U.a. Pflanzenpflege für die Förderstätten, Arbeiten im eigenen Garten, Papierrecycling
- Social Media & Events: U.a. die Pflege einer eigenen Facebook-Seite, Betreuung der eBay-Kleinanzeigen, ein Einpackservice
- Holzwerkstatt & Montage: U.a. Spielzeugherstellung mit luftdruckgesteuerten Maschinen
- Kreativbereich: U.a. Kerzen gießen, Grußkarten gestalten, Kindergartenprojekte, bei denen Reha-Kunden Kinder im Kerzengießen unterrichten
- Hauswirtschaft: Kochen des Essensangebots "Mittagsglück" für Reha-Kunden und Mitarbeiter, Waschen der Förderstätten-Wäsche
- Die externen Mittwochs-Angebote ("Think Free"): U.a. Serviettenfalten für das Mannschaftshotel des FC Bayern, Reinigungstätigkeiten im Fitnessstudio
Für Stefan Mayr sind die Arbeitsbereiche mehr als Beschäftigung, sie sind durch die wechselnde Zusammensetzung Orte des Austauschs. "Und wir können an dem arbeiten, wozu wir Lust haben. Ein Kollege schreibt in Social Media & Events sogar an einem eigenen Buch."
Um Menschen mit körperlichen Einschränkungen die Teilhabe zu ermöglichen, setzt Pfennigparade Perspektive GmbH moderne technische Hilfsmittel ein. Dazu gehören Talker und PC-Systeme mit Augensteuerung. Die neuesten Technologien werden in Zusammenarbeit mit Hilfsmittelfirmen und durch interne Schulungen eingeführt. Während die Kosten für individuelle Geräte oft von Krankenkassen übernommen werden, investiert die Förderstätte auch in eigene technische Lösungen.
Andreas Sauter, Bereichsleiter
Simone Kreitenweis, Förderstättenleiterin
Arbeit ohne Lohn? Die Bedeutung von Anerkennung
Anders als in der WfbM steht in der Förderstätte nicht die monetäre Entlohnung, sondern die Anerkennung und Wertschätzung im Mittelpunkt. Dennoch bleibt die fehlende Bezahlung ein Thema. "Manche fragen: Warum arbeite ich umsonst?", gesteht Bereichsleiterin Julia Hiller. Simone Kreitenweis ist sich dieses Mangels bewusst: "Wir können laut Gesetz kein Gehalt zahlen, aber wir schaffen Bestätigung durch sinnvolle Aufgaben und achten immer darauf, dass Anerkennung auf anderen Wegen erfolgt. In den Kooperationen mit dem Infinity-Hotel besteht die Anerkennung beispielsweise in einer gemeinsamen Kaffeepause mit den Mitarbeitern, im Fitnessstudio in der kostenlosen Nutzung der Fitnessgeräte." Die Pfennigparade Perspektive achtet sehr auf die Sinnhaftigkeit ihrer Projekte, etwa wenn beim "Mittagsglück", die Teilnehmenden der Hauswirtschaft Essen für Rehakunden und Mitarbeitende des Hauses kochen. Oder beim Verkauf von Spielzeug aus der Holzwerkstatt auf Märkten. "Da hören wir beispielsweise, dass die Raupe aus unserer Werkstatt schon die zweite Generation Kinder überlebt hat", als Feedback. Sehr wertvoll für die Rehakunden ist auch die unmittelbare positive Rückmeldung der Kinder im Rahmen des Kerzenprojekts.
Simone Kreitenweis fasst den besonderen Arbeitsbegriff der Tagesstätte so zusammen: "Arbeit bedeutet für uns Kontakt, Austausch und das Entwickeln, Erweitern und gemeinsame Anwenden von Fähigkeiten und Kompetenzen in praktischen Tätigkeiten." Bei der "Pfennigparade Perspektive" steht die individuelle Entwicklung und die Gemeinschaftsleistung im Vordergrund. "Jeder Beitrag zählt – ob klein oder groß", sagt Andreas Schraut, der Bereichsleiter der Spezialgruppen und er betont: "Die Werkstatt ist für uns nicht das ‘bessere’, das höherwertige Angebot. Es geht nicht um Hierarchien, sondern darum, was die Menschen brauchen."
Resümee: Ein Modell mit Strahlkraft
Die Förderstätte "Pfennigparade Perspektive" zeigt, wie Arbeit ein wichtiges Element von (Tages-) Förderstätten bzw. Förder- und Betreuungseinrichtungen sein kann und wie sich dabei auch der Inklusionsgedanke realisieren lässt: Mit Flexibilität, Kreativität und der Überzeugung, dass jeder Mensch Potenzial hat. "Wir probieren aus, verwerfen, adaptieren – immer nah an den Bedürfnissen", so Simone Kreitenweis. Stefan Mayr, der "Senior" der Pfennigparade Perspektive, würde wohl zustimmen: In seiner Tagesstätte wird nicht einfach nur gearbeitet, hier wird Teamwork gelebt.
Einen Zukunftswunsch äußert Bereichsleiterin Julia Hiller zum Schluss aber doch noch: "Ich wünsch mir Räume, die uns noch stärker ins Gemeindeleben einbinden – etwa ein Second-Hand-Laden in der Innenstadt." Das kreative Team der Perspektive ist in der Lage, so der Eindruck des Besuchers, gemeinsam auch diese Idee in die Tat umzusetzen.
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Julia Hiller, Bereichsleiterin