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„Bei uns muss es nach Kaffee riechen“

Sabine Eberhard über das Leuchtturmprojekt Samocca

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 02. September 2025 |  Petra Mies | Textbeitrag

  Werkstätten, Kostenfreie Artikel, Im Gespräch mit..., KK+ nachgefragt: Was macht eigentlich...

Erfolgreich, innovativ und mehrfach preisgekrönt: Das inklusive Kaffeehaus-Konzept Samocca der Samariterstiftung in Aalen hat ihre Ostalb-Werkstätten bundesweit bekannt gemacht. Beim Lokaltermin von 53° NORD in Aalen und Heidenheim können Interessierte das Geheimnis des Samocca-Erfolgs erkunden. Was andere WfbM vom Leuchtturmprojekt und dem Franchise-System der dreizehn Samocca-Cafés in ganz Deutschland lernen können, darüber sprach „Klarer Kurs“ mit Produktmanagerin Sabine Eberhard.

 KLARER KURS: Samocca hat vor 19 Jahren die ersten beiden Franchise-Betriebe eröffnet – warum ist das Kaffeehaus-Konzept so erfolgreich?

Sabine Eberhard: Wesentlich für unseren Erfolg ist die Kombination aus sehr guten Produkten und einer starken und durchdachten Marke. Oft wird der so wichtige Prozess einer guten Markenentwicklung einfach übersprungen und das haben wir nicht. Dass wir vor mehr als 20 Jahren viel Zeit und Ressourcen in die Entwicklung eines starken Markenkerns mit soliden Alleinstellungsmerkmalen gesteckt haben, das trägt uns bis heute.

Was heißt das konkret?

Es heißt, sich vorher gründlich zu überlegen, was überhaupt dauerhaft Erfolg haben kann. Mit welchen Dienstleistungen und Produkten bekommen Menschen einen Mehrwert, für den sie bereit sind, Geld auszugeben, etwa. Das ist eine permanente Entwicklung und wir schauen immer genau, wo wir stehen, welches Marktsegment noch nicht ausreichend bedient ist und was wir noch erreichen wollen. Bei allen Innovationen achten wir aber immer sehr darauf, den Markenkern nicht aus den Augen zu verlieren. Wir sind ein Kaffeehaus: Bei uns muss es trotz aller Veränderungen immer noch nach Kaffee riechen und nicht nach Sauerbraten.

Der Betrieb eines Cafés ist für Werkstätten immer ein Wagnis. Dass sie damit so großen Erfolg haben, ist also kein Zufallsprodukt?

Absolut nicht, und das ist mir auch sehr wichtig. Unser ökonomischer Erfolg ist das Ergebnis einer soliden betriebswirtschaftlichen Herangehensweise, einer sorgfältigen Planung und engagierter Teams, die im Alltag alles geben, denn ohne sie wäre die beste Planung wertlos.

In wenigen Worten: Was ist Samocca?

Es ist ein inklusives Kaffeehaus-Konzept, zum Teil mit eigener Rösterei in unseren Franchise-Cafés, in denen zu 70 bis 80 Prozent Menschen mit Beeinträchtigung weitgehend selbstständig mitarbeiten.

Wie ist ihr pädagogisches Konzept?

Es hat zwei Säulen – das Rotationsprinzip und das Delegationsprinzip. Ersteres bedeutet, dass alle in allen Abteilungen arbeiten, also in der Küche ebenso wie im Service und an der Theke. Da wird durchgewechselt. Durch diese größtmögliche Anforderungsvielfalt wird die Arbeit nicht monoton. Und dass wir nicht lauter SpezialistInnen ausbilden, hält zudem den Betrieb am Laufen, wenn zum Beispiel jemand krank wird oder in Urlaub geht. Mit GeneralistInnen können wir immer alle Stationen sehr gut abdecken. Und das Rotationskonzept erleichtert auch die Übergänge enorm. Ich hinterlasse kein dreckiges Geschirr beim Wechsel, weil ich es auch nicht vorfinden möchte. Durch die persönliche Erfahrung kenne ich alle vor- und nachgelagerten Prozesse, das ist entscheidend für gute Übergänge. Das Delegationsprinzip bedeutet wiederum, dass jede und jeder zusätzliche Aufgaben bekommt, für die nur dieser jeweilige Mensch zuständig ist. Es geht darum, ganze Aufgaben zu finden und klar abzugrenzen, und eben nicht nur Tätigkeiten. Der Unterschied: ,Geh mal in den Keller und hole Cola‘ ist eine Tätigkeit. Wird jemand dagegen an die Übernahme der Getränkebestellung herangeführt, ist das eine Aufgabe - und das ist unser Verständnis von Empowerment. Natürlich ist niemand allein auf weiter Flur, aber es birgt eine hohe Eigenverantwortung, zum Beispiel für die Getränkebestellung von der Bestandsaufnahme im Getränkekeller über die Bestellung, natürlich in Absprache mit der Café-Leitung oder pädagogischen Kräften im Vier-Augen-Prinzip, bis hin zur Wareneingangskontrolle zuständig zu sein.

Was macht ihr Franchise-Konzept so interessant für andere WfbM?

Durch die systematische Weiterentwicklung des Konzepts mit immer mehr Betrieben haben wir eine steilere Lernkurve als nur ein einzelnes Café. Die Synergie-Effekte sind enorm: Zu jedem Thema und Problem landen Informationen in der Franchise-Zentrale – und zusammen mit den Franchise-Partnern findet sich immer eine Lösung. Das vertiefen wir auch einmal im Jahr bei unseren zweitägigen Franchise-Treffen, bei dem alle neue Ideen mitnehmen. Viele Dinge bauen aufeinander auf: Verglichen mit einer eigenständigen Gastronomie-Eröffnung ist dann zum Beispiel klar, welche Prozesse für die Eröffnung wichtig sind, dass etwa für den Flyer ein Teamfoto vonnöten ist, dafür das Team stehen und bereits mit Dienstkleidung ausgestattet sein muss, wie das Design aussieht und so weiter. Diese aufeinander aufbauenden Prozesse kennen wir ebenso wie viele andere Probleme und deren Lösung. Da arbeiten wir mit der Erfahrung von mehr als 20 Jahren mit einem durchdachten Eröffnungsfahrplan. Franchise bedeutet also auch: Man muss Fehler nicht zweimal machen. Es ist zudem fürs Personal gut: Denn so können beispielsweise Kaffeehausleitungen, die neu im Café anfangen, von erfahrenen anderen Kaffeehausleitungen eingearbeitet werden. Erfahrung hilft. Auch wenn jedes neue Café eine eigene Standortanalyse braucht, wissen wir, worauf zu achten ist und finden gute Wege, wie es funktionieren kann. Dabei machen wir keine faulen Kompromisse, sondern suchen die bestmögliche Lösung für die jeweiligen Franchise-Partner.

Ist der Lokaltermin von 53° NORD bei Samocca in Aalen und Heidenheim Heidenheim im Oktober nur interessant für Menschen, die selbst ein Café eröffnen wollen?

Absolut nicht. Die Teilnehmenden können sich beim Inhouse-Seminar viel Inspiration für alle möglichen Themen holen. Was machen wir wie und warum genau so, das ist für alle interessant. Das fängt schon damit an, zu sehen, was die Kernmerkmale eines erfolgreichen Eigenprodukts sind. Wir bieten einen ganzheitlichen Rundumblick mit chronologischem Überblick bis zum aktuellen Stand. Das pädagogische Konzept mit Schwerpunkt Empowerment steht ebenso im Fokus wie betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte, es kommen natürlich auch Menschen mit Handicap aus dem Team zu Wort. Und was WfbM anbelangt, mit denen ich mich auch vertiefend in meiner Masterarbeit beschäftigt habe, ist das Thema Arbeitsvielfalt ein enorm wichtiges Zukunftsthema. Im Kern gibt es fast überall die sieben gleichen Hauptarbeitsfelder in Werkstätten, also Verpackung, Hauswirtschaft, Montage und so weiter. Wir müssen im Sinne der Betreuten viel mehr Arbeitsvielfalt anbieten, da ist Gastronomie ein spannendes Arbeitsumfeld, das mit Franchising vergleichsweise einfach umzusetzen ist. Außerdem bringt Gastronomie Menschen mit Menschen zusammen, diese Begegnungen von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung ist ein wichtiger Beitrag zur Inklusion im klassischen Sinne.

Und bei so viel Theorie wird der Kaffee beim Samocca-Lokaltermin kalt?

Nein, der dampft gewaltig. Natürlich gibt es eine erstklassige Degustation bei uns, die einer unserer Kaffeeröster leitet. Es wird erklärt, wie aus der Kaffeekirsche eines der wichtigsten Getränke weltweit wurde und wie man Kaffee richtig probiert. Dazu gibt es Kostproben unserer Schokoladenmanufaktur und Spezialitäten von unserer Speisekarte wie Manti, aber auch Briegelschmiere aus Schwaben, denn da kommen wir schließlich her.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Eberhard und viel Erfolg bei dem Lokaltermin!

Zum Lokaltermin "Das Geheimnis des Samocca-Erfolgs"

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Lesen Sie den ersten Artikel "Das Geheimnis des Samocca-Erfolgs" aus der KLAREN KURS Ausgabe 02/2008 als PDF.

Artikel KK 02/2008

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