Kontakt geht vor Inhalt
Ein Interview mit dem Akquisitionsexperten Jürgen Länge

Der Schlüssel für eine nachhaltige Integration behinderter Menschen in den Arbeitsmarkt ist die Akquisition von Praktika und Arbeitsplätzen. Ziel ist nicht nur die kurzfristige Vermittlung, sondern auch der Aufbau von langfristig tragfähigen Kooperationsbeziehungen zu den Betrieben. Akquisition heißt, mit Personalentscheidern in Kontakt zu treten und sie von Skeptikern zu Überzeugungstätern zu machen. Dazu bedarf es einer professionellen Vorgehensweise, individueller Handlungskompetenz und Sicherheit im Kontaktaufbau. Untermauert werden muss der Kommunikationsprozess von zugkräftigen Argumenten. Zentral ist dabei ein verlässliches Unterstützungsangebot für alle am Integrationsprozess Beteiligten.
Wir sprachen mit dem Akquisitionsexperten Jürgen Länge.
53°NORD: Herr Länge, Sie sind ein Fachmann in der Akquisition von Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderungen, Sie haben die „In-Kontakt-Methode®“ entwickelt und ein Buch zu diesem Thema verfasst. Ihre Seminare haben über 12.000 Teilnehmer besucht. Was raten Sie mir, wenn ich als Jobcoach Arbeitsplätze akquirieren will?
Jürgen Länge: Das Entscheidende bei der Vermittlung ist der Kontakt. Der/Diejenige, den/die Sie für Ihr Anliegen gewinnen wollen, braucht Ihre volle Aufmerksamkeit. Mit dem Kontakt steht und fällt alles. Zu Ihrem Vermittlungserfolg gehört also vor allem eine wertschätzende Grundhaltung, aber auch eine Strategie und das nötige Handwerkszeug.
Der Schlüssel zum Erfolg
Einer Ihrer Leitsätze besagt: Kontakt geht vor Inhalt. Was bedeutet das?
Das ist plakativ ausgedrückt und bedeutet, dass Sie mit dem besten Argument nicht durchdringen, wenn Ihre Gesprächspartner*in das nicht hören will. Es ist zielführend, eine positive Beziehung aufzubauen, die alles, was danach kommt, erst möglich macht.
Neben dem Wort „Kontakt“ spielt bei Ihnen der Begriff „Haltung“ eine wichtige Rolle. Welche Haltung muss ein Jobcoach haben?
Da widerspreche ich erst einmal dem Wort „müssen“ in Ihrer Frage. Ein(e) Jobcoach*in baut nur dann eine Beziehung zu ihrem/seinem Gegenüber auf, wenn sie/er als Person authentisch ist. Er muss sich also nicht in einer bestimmten vorgegebenen Weise verhalten. Die IN-KONTAKT-Methode® ist kein Korsett, in das jemand hineingezwängt wird. Aber wie gesagt: Erfolgreich ist jemand dann, wenn sie/er echtes Interesse an ihrem/seinem Gegenüber zeigt, der/dem Partner*in das Gefühl gibt, dass sie/er in diesem Moment für sie/ihn die/der Wichtigste ist. Das gilt übrigens nicht nur für das Gespräch mit Verantwortlichen in einem Betrieb, sondern genauso für das Verhältnis zu Klient*innen. Die Haltung sollte sein, sich ganz auf die Person zu beziehen, mit der man gerade im Gespräch ist - sie wirklich verstehen zu wollen, die eigene Meinung, die eigene Werthaltung zunächst einmal zurückzustellen. Zur Haltung gehören aber auch noch ein paar andere Dinge: Verlässlichkeit beispielsweise oder Allparteilichkeit. Allparteilichkeit bedeutet, dass ein(e) Jobcoach*in sich nicht nur als Anwält*in des/der Klient*innen versteht, sondern auch als Anwält*in des Betriebs und der anderen Beteiligten, etwa der Angehörigen oder der Werkstatt. Sie alle haben ihre berechtigten Interessen und Erwartungen und verdienen einen wertschätzenden Umgang.
Wenn Sie von Akquisition sprechen, heißt das immer, eine Stelle für eine Person zu suchen oder auch eine Person für eine Stelle?
Beides ist möglich. Oft hat man es mit einer Person zu tun, für deren Berufswunsch eine Stelle gesucht wird, aber es ist auch sinnvoll, einen Pool von Betrieben zu haben, mit denen man in engem Kontakt ist, die grundsätzlich bereit sind, jemanden einzustellen oder ein Praktikum zu ermöglichen.
Kommt es auch vor, dass nicht der Jobcoach einen Platz akquiriert, sondern die Person sich selbst bewirbt, bzw. sich im Betrieb vorstellt?
Durchaus. Es gibt auch Vermittlungen über eine Eigenbewerbung. Das kommt auf die sich bewerbende Person an, auch darauf, wie der Auftrag des Fachdienstes lautet, und schließlich auch auf den Betrieb – manche wollen direkt mit dem/der Bewerber*in in Kontakt treten.
Die sich bewerbende Person bestimmt
Wenn Sie eine Stelle für eine) Klienten oder Bewerber suchen, wie wichtig ist die genaue Kenntnis dieser Person?
Die ist sehr wichtig. Der Wunsch des/der Klient*in steht schließlich im Mittelpunkt. Je besser ich die Person kenne, umso mehr begreife ich, was sie/ihn antreibt. Die geäußerten Wünsche sind allerdings nicht immer realistisch oder realisierbar. Dann will ich verstehen, was dahintersteckt. Ich will dem Motiv auf die Spur kommen, will das Positive im Wunsch sehen. Ich will ihn der Person nicht ausreden, sondern mich mit ihr auf das Machbare auf der Basis von Wünschen, Interessen, Fähigkeiten und Lernvorhaben einigen.
Wieviel offenbaren Sie im Betrieb von den behinderungsbedingten Einschränkungen?
Das hängt von der sich bewerbenden Person ab. Er/sie hat die Hoheit über ihre/seine Daten. Er/sie bestimmt, was er/sie offenbaren will und damit auch, was ich als sein Anwalt offenlege und was nicht. Aber wenn er/sie ein Anfallsleiden hat und eine Tätigkeit ausüben möchte, bei der das gefährlich ist, er/sie aber darüber nicht reden will, dann kann ich diese Tätigkeit für sie/ihn nicht akquirieren. Darüber müssen wir uns verständigen. Im Betrieb ist also auch von den Einschränkungen die Rede, aber die Fähigkeiten stehen im Vordergrund. Wichtig ist, den Eindruck zu transportieren, dass das Glas halb voll ist und nicht halb leer. Refaming ist eine gute Technik, darauf den Blick zu richten. Zu den Einschränkungen gehören auch die, die äußerlich nicht erkennbar sind, also beispielsweise psychische Probleme. Allerdings sollte man sich dabei umgangssprachlich ausdrücken und Fachtermini möglichst vermeiden. Neben dem, was jemand kann und was nicht, gibt es noch eine dritte Kategorie: Seine/ihre Potentiale, also das, was er/sie noch lernen kann. Auch das sollte im Gespräch eine Rolle spielen. Es erweitert die Perspektive und erhöht dadurch die Chancen des/der Bewerber*in.
Erst Kooperation sichern, dann über die sich bewerbende Person sprechen
Wie gestalten Sie den Erstkontakt? Telefonisch oder gleich mit einem Besuch?
Der Standard ist ein kurzes Telefonat zur Terminvereinbarung und dann der Besuch. Jede Minute im Betrieb ist wertvoll. In der Alternative Telefon oder Besuch geht beides. Persönliche Besuche ohne Termin sind überall dort möglich, wo es normal ist, dass Kunden vorbeikommen. Diese Spontanbesuche sind vom Ansatz her sehr kurz zu halten, sollen nur Interesse wecken, keinen Druck erzeugen und dienen i.d.R. nur der Terminvereinbarung. Mails für den Erstkontakt bei fremden Arbeitgebenden zu nutzen ist die schwächste Variante.
Manchmal ergeben sich aber auch anderswo situativ gute Möglichkeiten. Wenn Sie mit jemandem bspw. in der S-Bahn oder in einem Fahrstuhl ins Gespräch kommen, kann es beispielsweise Anknüpfungspunkte geben. Oder sie erkennen indirekte Kontakte, die sie nutzen können. Gute Akquisiteur*innen entwickeln ein Gespür dafür. Sie sind kreativ und sehen eine Chance, wenn sie sich ihnen bietet.
Wie komme ich an die Person im Betrieb, die über die Einstellung entscheidet?
Oh, so gefällt mir die Frage. Im Gegensatz dazu werde ich oft gefragt: „Wie komme ich an der Sekretärin vorbei?“ Das ist aber meines Erachtens die falsche Frage. Jede Person, mit der ich rede, ist die richtige. Ich muss sie ernstnehmen und wertschätzen. Wenn ich die/den Sekretär*in für mich gewinne, wird er/sie mir die Person nennen, die letztlich entscheidet. Sekretär*innen sind oft gute Türöffner, das nutze ich besonders für die Kaltakquise. Solche Gespräche üben wir in unseren Seminaren und Workshops.
Ansonsten lässt sich i.d.R. über die Website des Unternehmens herausfinden, wer fürs Personal zuständig ist. Oder ich rufe die Zentralnummer an und erfrage die Zuständigkeit. Entscheidend ist dann die Kontaktaufnahme mit einem individuellen Gesprächseinstieg („Türöffner“), der auf der persönlichen Motivation beruht, warum ich genau jetzt dort anrufe. Auch dies üben wir in unseren Seminaren und Workshops.
Wann sollte man bei der Akquisition den Bewerber ins Spiel bringen?
Der Weg in den Betrieb ist zweistufig. Die erste Stufe ist die Kontaktanbahnung und die Absicht, miteinander zu kooperieren. In der zweiten Stufe geht es um die konkrete Person, die sich bewirbt. Manche Dienste trennen diese Stufen nicht und führen gleich ein Dreiergespräch, wodurch sich der Betrieb überrumpelt fühlen kann. Andere trennen die beiden Stufen zwar, versuchen sie aber in einem Termin unterzubringen und lassen die sich bewerbende Person erst einmal vor der Türe warten. Das finde ich nicht zumutbar. Ich plädiere für zwei getrennte Termine. Wenn es für den Betrieb sehr dringend ist, kann man die Reihenfolge ausnahmsweise auch umdrehen, mit der Vermittlung beginnen und dann über die langfristige Kooperation reden.
Das weitere Vorgehen
Ein besonderes Augenmerk in Ihren Schulungen richtet sich auf die Einwandbehandlung, also auf dem Umgang mit Skepsis und schlechten Erfahrungen bei Arbeitgebenden. Was ist da Ihre Botschaft?
Der Umgang mit Einwänden ist zum einen gesteuert von der Haltung des/der Akquisiteur*ins, zum andern ist es eine Frage der Technik. Beides gehört untrennbar zusammen. Die Haltung sollte die sein, die ich schon zuvor geschildert habe: Die andere Person verstehen zu wollen, nicht dagegen zu argumentieren, sondern ihre Sorgen und Befürchtungen, die negativen Erfahrungen ernst zu nehmen, ihnen Raum zu geben. Die Zweifel von Arbeitgebenden sind okay, er/sie darf sie behalten, man sollte sie ihm/ihr nicht auszureden versuchen. Der Merksatz lautet: Ich kann niemanden überzeugen, ich kann ihm/ihr nur dabei helfen, sich selber zu überzeugen.
Die wirkungsvolle Technik ist, auf einen Einwand nicht mit einem Argument oder einem Lösungsangebot zu antworten, sondern mit einer Vertiefungsfrage. Das signalisiert dem/der Gesprächspartner*in grundsätzliche Akzeptanz und Interesse und nimmt auf dies Art und Weise Duck heraus. Der Einwand muss nicht verteidigt oder gar verstärkt werden. Und gleichzeitig erfahren wir dadurch relevante Beweggründe des/der Gesprächspartner*in, auf die wir später eingehen können.
Dort, wo Bedenken nur angedeutet sind, sollte man weiterfragen und sie ans Licht holen. Manche denken, es sei besser, keine schlafenden Hunde zu wecken. Was nicht ausgesprochen ist, muss man nicht vertiefen. Das ist falsch. Was da ist, das wirkt, auch wenn es nicht zur Sprache kommt. Und Einwände, die im Verborgenen bleiben, wirken destruktiv und ich kann nichts dagegen tun. Der kontaktfördernde Umgang mit Einwänden ist eine sehr wirkungsvolle Vorgehensweise, die sich relativ schnell lernen lässt.
Sie haben das Prinzip der Allparteilichkeit erwähnt. Kann man gleichermaßen für alle Partei ergreifen, wenn sich die Meinungen und Interessen der Beteiligten widersprechen?
Ja das geht. Allerdings tun sich Jobcoaches oft schwer mit der Rolle des/der überparteilichen oder besser allparteilichen Mittler*in, weil sie sich ganz in der Anwaltsrolle für ihre Klient*innen sehen. Diese Rolle sollen sie auch wahrnehmen, sie aber nicht als Gegensatz zu den Interessen der anderen Beteiligten interpretieren. Die haben aus deren Sicht auch ihre Berechtigung und es ist die Aufgabe des/der Jobcoach*in, die unterschiedlichen Positionen unter einen Hut zu bringen. Dazu braucht sie/er Verhandlungsgeschick und Ausdauer. Sie/er muss Brücken bauen und einen langen Atem haben.
Wieviel kann man einem Betrieb zumuten? Kann man von Vornherein ein dreimonatiges Praktikum anstreben oder sollte man mit einem halben Schnuppertag beginnen?
Dafür gibt es keine Regel. Akquise ist ein Prozess und der kann sehr unterschiedlich verlaufen. Zunächst muss man miteinander ins Gespräch kommen, dann schaut man die sich bewerbende Person an und dann geht es Schritt für Schritt weiter, und zwar mit der Geschwindigkeit, die sowohl dem Betrieb als auch der/dem Bewerber*in entspricht. Beim der einen Person ist es tatsächlich zunächst ein Schnupperpraktikum, beim anderen kann es gleich ein langes Praktikum sein. Wir bewegen uns ja in einem verdeckten Arbeitsmarkt, da gibt es keine Standardabläufe, sondern nur Individuallösungen.
Als Jobcoach arbeite ich mit Versprechen. Ich sichere dem Betrieb zu, dass mein(e) Klient*in qualitativ gute Arbeit leistet und nicht als Hemmschuh wirkt. Inwieweit kann ich garantieren, dass diese Qualität auch gewährleistet ist?
Garantieren kann ich nur das, was ich selber in der Hand habe. Meine eigene Verlässlichkeit, meine Erreichbarkeit, meinen Arbeitseinsatz. Nicht garantieren kann ich, dass der/die Klient*in die gewünschte Arbeitsleistung auch erbringt. Das habe ich nicht in der Hand und da darf ich auch keine Garantie abgeben. Hier kann ich nur nach bestem Wissen und Gewissen informieren. Es muss klar sein, dass das immer ein Versuch ist, dass es für ein Gelingen aber gute Chancen gibt. Wenn es dann doch scheitert, hat der Betrieb in der Regel Verständnis und unternimmt oft einen zweiten Versuch.
Ist jeder Werkstattbeschäftigte vermittelbar?
Sind Sie der Meinung, dass jeder Mensch mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar ist oder sind es nur die berühmten fünf bis zehn Prozent der Werkstattbeschäftigten?
Ich will nicht behaupten, dass absolut jede Person vermittelt werden kann. Aber es geht nach meiner 30-jährigen Erfahrung sehr viel mehr, als viele für möglich halten. Jede(r) der/die dies möchte, soll die Chance bekommen und die Wahrscheinlichkeit, dass es gelingt, ist hoch.
Skeptiker sagen, durch die Digitalisierung gäbe es keine einfachen Arbeitsplätze mehr.
Wir bewerben uns ja in aller Regel nicht auf Ausschreibungen, sondern passen die Arbeitsplätze individuell an. Es werden einfachere Tätigkeiten ausgegliedert und gebündelt, die Fachkräfte damit entlastet. Es gibt viel mehr einfache Arbeit, als auf den ersten Blick sichtbar ist, in jedem Betrieb, auch in unserer digitalisierten Arbeitswelt und es lohnt sich nach wie vor, diese zu suchen.
Der Inhalt der Akquisitionsseminare
Was lernen die Teilnehmer in Ihren Seminaren?
Vor allem die Schärfung der Wahrnehmung, der Selbst- und Fremdwahrnehmung. Die Reflexion der eigenen Haltung und ihrer Rolle als Jobcoach*in sowie das Handwerkszeug in der Gesprächsführung, bis hin zu bestimmten individuell passenden Formulierungen.
Ein Kommunikationsstil einer Person ist ja ein fester Teil der Persönlichkeit. Lässt sich der wirklich verändern?
Zum Teil ja, wenn man weiß, worauf es ankommt. Mit einem Kurs alleine ist es nicht getan, entscheidend ist die Möglichkeit, die Erkenntnisse anschließend auch umzusetzen und einzuüben. Aber richtig ist: Akquise ist eine Beziehungstätigkeit. Man steht für die Idee, dass Inklusion eine Bereicherung bedeutet. Manchen liegt das im Blut, andere tun sich schwerer damit. Meine Erfahrung sagt: Mit der Übung wird man sicherer und über die Sicherheit verbessert sich auch die Kommunikationsfähigkeit. Die Rückmeldung zahlreicher Seminarteilnehmenden bestätigen das.
Wieviel Zeit nehmen Ihre Kurse in Anspruch?
Als Einstieg hat sich ein 2-tägiger Intensivworkshop als sinnvoll herauskristallisiert. Im angebotenen Workshop können die Teilnehmenden ihre bisherigen Akquisitionsstrategien reflektieren, austauschen, sowie ihr Handlungsrepertoire anhand erprobter, erfolgreicher und kreativer Methoden erweitern. Der Workshop ist handlungsorientiert und wird passgenau zugeschnitten, indem die unterschiedlichen Zielgruppen, die Rollen und Funktionen der Teilnehmenden, die Rahmenbedingungen, sowie die individuellen Vorkenntnisse, Kompetenzen und Lernvorhaben berücksichtigt werden.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Länge
Hier geht es zum Workshop: Erfolgreich vermitteln mit der IN-KONTAKT-Methode®