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Wie eine Werkstatt mit betriebsintegrierten Arbeitsplätzen erfolgreich ist

Interview mit Madeleine Leube, Leiterin Teilhabe Arbeit | Bildung | Inklusion der Mainfränkischen Werkstätten in Würzburg

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Madeleine Leube, Leiterin Teilhabe Bilung, Arbeit und Inklusion der Mainfränkischen Werkstätten

 27. September 2023 | Textbeitrag

  Berufliche Bildung, Werkstätten, Kostenfreie Artikel, Im Gespräch mit...

Die Mainfränkischen Werkstätten machen Außenarbeitsplätze zum Unternehmensziel und mobilisieren die Region. Mit Erfolg. Der Fachdienst "Inklusiv! Gemeinsam arbeiten" mobilisiert die ganze Region, damit werkstattberechtigte Menschen attraktive Außenarbeitsplätze finden. Im Mittelpunkt stehen das Konzept der Sozialraumorientierung und die Wünsche, Fähigkeiten und das Engagement der behinderten Menschen.

53° NORD: Frau Leube, Sie haben mit Ihrem werkstatteigenen Fachdienst Inklusiv! Gemeinsam arbeiten in Würzburg in kurzer Zeit so viele betriebsintegrierte Arbeitsplätze geschaffen wie kaum eine andere WfbM in Deutschland. Seit wann gibt es den Dienst?

Madeleine Leube: Gestartet sind wir am 1. Januar 2015 mit einem Team von drei Kolleginnen. Wir sind in drei Regionen aktiv und für jeden Landkreis hatten wir von Anfang an eine Fachkraft.

Wie groß ist Ihre Werkstatt?

Die Mainfränkischen Werkstätten haben 1.200 Werkstattplätze, verteilt auf vier Hauptstandorte mit weiteren Betriebsstätten, davon ca. 80 im Berufsbildungsbereich. Wir betreiben unter anderem einen eigenen Tierpark, anerkannt als Werkstatt, und vieles mehr. Dazu kommen noch Integrationsfirmen, die Wohnbereiche und der Integrationsfachdienst als Tochterfirmen.

"Wir hatten den klaren Auftrag der Leitung, unsere Werkstatt zu öffnen."

Haben Sie mit der betrieblichen Inklusion bei Null angefangen?

Nein, die Arbeit außerhalb der Werkstatt hat bei uns Tradition. Wir hatten schon seit den 90er Jahren eine Landschaftsbaugruppe in Würzburg, dann haben wir den Tierpark Sommerhausen aufgebaut und Gruppen in Betriebe ausgelagert und wir hatten auch schon betriebsintegrierte Einzelarbeitsplätze in allen drei Landkreisen. Die haben die Sozialdienste vermittelt und ein Kollege hat sie zentral betreut. Das war aber noch nicht die Systematik, die wir heute haben.

Was war der Auslöser für Inklusiv! Gemeinsam arbeiten?

Zum einen haben wir nach Bamberg geschaut und gesehen, was dort Integra Mensch mit dem Sozialraumansatz und dem SONI-Modell aufgebaut hat und wie erfolgreich das war. Da steckte ein wissenschaftliches Konzept mit der entsprechenden Methodik dahinter. Der andere Auslöser war, dass der Aufsichtsrat und die Geschäftsleitung beschlossen haben, unsere Werkstatt zu öffnen. Wir hatten also einen klaren Auftrag und waren von Beginn in engem Kontakt mit der politischen Ebene des Bezirks und der Landkreise und mit den Kammern, Verbänden und Vereinen der Region.

Der Grundgedanke lautete: Integration ist nicht nur die Aufgabe der Werkstattexperten, sondern die der gesamten Region. Hinzu kam der Wunsch vieler Werkstattmitarbeiter nach einer Teilhabemöglichkeit dort, wo alle anderen auch arbeiten.

Sie sind dann also gleich mit einem Team gestartet. Wie sind Sie vorgegangen?

Wir haben unsere Organisation nach den Regeln der Sozialraumorientierung aufgebaut und von Anfang an viel Netzwerkarbeit geleistet. Nach innen mit Informationsveranstaltungen, nach außen mit Gremienarbeit und engen Kontakten zu den Bürgermeistern, und zu den Kreis- und Gemeinderäten. Und wir haben uns an allen Veranstaltungen beteiligt, zu denen wir etwas beitragen konnten. Bis heute sind wir in der Region auf 30 bis 35 Veranstaltungen im Jahr präsent, zum Teil mit anderen Einrichtungen der Behindertenhilfe, etwa bei der Würzburger Woche der Inklusion.

Wie kamen Sie an die Interessenten für eine Vermittlung und wie groß war die Nachfrage?

Wir haben gemeinsam mit der Leitung unsere Zielsetzung und unseren Ansatz im Betrieb bekannt gemacht. Es war klar, dass betriebsintegrierte Arbeitsplätze ab sofort ein wichtiger Teil der Werkstatt sind und dass sie schon im Berufsbildungsbereich mitgedacht werden sollen. Es ist uns gelungen, eine regelrechte Aufbruchsstimmung in den Mainfränkischen Werkstätten zu erzeugen. Als wir starteten, hatten wir schon 20 Interessenten auf unsere Liste, der größte Teil aus dem BBB. Mittlerweile hat sich das verändert. Die meisten Zugänge haben wir jetzt aus dem Arbeitsbereich, ein Drittel sind Quereinsteiger.

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"Wir vermitteln generell einen gemischten Personenkreis."

Für wie viele Personen sind Sie heute tätig?

Wir begleiten 120 Personen in Betrieben und noch mal 40 in betrieblicher Zukunftsplanung. Unser Team ist auf 11 Kolleginnen plus Leitung gewachsen.

Vermitteln Sie überwiegend Leistungsträger?

Schon lange nicht mehr. In der Zeit vor der Gründung von Inklusiv! waren es tatsächlich diejenigen, die wenig Unterstützung brauchten. Das ist heute anders. Wir haben viele Menschen mit erhöhtem Unterstützungsbedarf, wir haben Rollstuhlfahrer, Leute mit Pflegebedarf, wo dann jemand rausfährt, Menschen, die keinen ganzen Tag durchhalten, oder jemanden, der eine starke Lauftendenz hat, in einer Autowerkstatt nur eine Tätigkeit macht und ansonsten herumläuft. Die Mainfränkischen Werkstätten haben generell einen gemischten Personenkreis, unter anderem mit Schwerstkörperbehinderten oder mit Schädel-Hirn-Verletzten. Der Anteil von Menschen mit seelischer Behinderung, sozial-emotionalem Handicap und herausforderndem Verhalten wächst wie überall, und das spiegelt sich auch bei Inklusiv! wider.

Haben Sie auch Menschen über das Budget für Arbeit vermittelt?

Ja, wir haben hier ein Konzept für den Unternehmensverbund mit dem IFD entwickelt. Aktuell haben wir vier Budgetnehmer im Unternehmensverbund, zwei davon aus Inklusiv!. Zwei weitere werden in diesem Jahr noch dazukommen.

"Vom Tag 1 an war Inklusiv! Gemeinsam Arbeiten eine eigenständige virtuelle Werkstatt."

Wie ist "Inklusiv! Gemeinsam arbeiten" in der Werkstatt eingebunden?

In der Aufbauphase meine Stabsstelle unmittelbar dem Geschäftsführer unterstellt. Vom Tag 1 an waren wir damit eine eigenständige virtuelle Werkstatt. Daraus wurde eine Betriebsabteilung mit eigener Fachdienststruktur, ohne Einflussnahme anderer Werkstattbetriebe. Der Stellenschlüssel entspricht der Werkstättenverordnung, aber wir haben für Inklusiv! mit dem Leistungsträger eine eigene Leistungsvereinbarung geschlossen, wo u.a. eine Stelle für Netzwerkarbeit festgeschrieben ist.

Liegt der Kostensatz unter dem der Werkstatt?

Ja, er liegt leicht unter dem Werkstattkostensatz. Aber wir haben ja auch nicht die Gebäudestruktur der WfbM und den Aufwand für den Fahrdienst.

Bietet Inklusiv! keinen Fahrdienst an?

Unserer Leistungsvereinbarung sieht keinen Fahrdienst vor. Aber wir machen sehr intensive Mobilitätstrainings und wir suchen individuelle Lösungen. In einem Fall nutzen wir beispielsweise den Fahrdienst der Werkstatt, weil der Betrieb auf der Strecke liegt. Wir organisieren Mitfahrmöglichkeiten mit Kollegen oder die Abholung durch den Betrieb vom Bahnhof. Und wir vermitteln möglichst wohnortnah, so dass Betriebe auch fußläufig oder mit Rad bzw. Rollstuhl erreicht werden können.

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"Wir bieten niedrigschwellige, offene Beratung zum Thema Teilhabe."

Wo sind Sie räumlich angesiedelt?

Wir haben bewusst Räumlichkeiten im Würzburger Zentrum angemietet. Das gilt auch für die anderen Landkreise. Wir vernetzen uns mit regionalen Partnern, etwa mit dem IFD oder der Ehrenamtsbörse. Und wir haben ein Beratungszentrum integriert, zusammen mit dem Bereich Wohnen, Beratung und Bildung. So haben wir einen niedrigschwelligen Zugang zum Personenkreis.

Das heißt, es kommen Leute zu Ihnen, die sonst nicht in die Werkstatt gehen würden?

Ja. Wir beraten in den Büros zum Thema Teilhabe. Das ist eine offene Beratung, aber es kommen darüber auch Leute zu Inklusiv! und auch in die Werkstätten.

Wie organisieren Sie die Zusammenarbeit mit den Werkstätten?

Unsere Mitarbeiter sind regional eng mit den Werkstätten vernetzt, nehmen an Teamsitzungen teil, sind bei Festen und Feiern dabei. Auch die Inklusiv!-Leitung ist mit dem Werkstattleiterteam eng vernetzt. Diese Struktur signalisiert, dass Teilhabe und Öffnung nach außen zur Grundhaltung der Mainfränkischen Werkstätten gehört. Wenn ein Beschäftigungsverhältnis nicht funktioniert, gibt es den Weg der Rückkehr in die Werkstatt.

Kann der Anteil von betriebsintegrierten Arbeitsplätzen nach Ihrer Einschätzung noch steigen?

Momentan liegen wir mit Inklusiv! bei etwa 12 Prozent aller Werkstattplätze. Nimmt man die Außengruppen dazu, dann sind wir bei 20 Prozent. Da ist noch Luft nach oben. Wir starten das Teilhabeangebot mit jedem, der den Willen hat, im Sozialraum zu arbeiten.

"Unternehmerisch ist Inklusiv! ein gutes Geschäftsmodell."

Was raten Sie anderen Werkstätten, die einen Übergangsdienst aufbauen wollen?

Das Wichtigste ist sicherzustellen, dass der Dienst in der Einrichtung gewollt ist und unterstützt wird. Dann sollte man die Kostenträger mit ins Boot holen. Und man sollte sich informieren, wie andere das machen, damit man nicht alles selbst erfinden muss. Der Bereich sollte eigenständig sein, losgelöst von der Werkstattstruktur arbeiten können, aber eng mit der Werkstatt kooperieren.

Kann man das als Einzelkämpfer machen?

Was nicht funktioniert, ist, dass jemand das nebenher übernimmt. Das ist schon eine Aufgabe, der man sich mit voller Kraft widmen muss. Zu Anfang kann eine Person die Struktur aufbauen, aber ein Team ist effektiver, schon wegen des Austausches und der Vertretung. Aber das ist sicher auch eine Refinanzierungsfrage. Wir sind in Vorleistung gegangen und haben uns aber nach dem ersten Jahr schon selbst getragen. Unternehmerisch ist Inklusiv! ein gutes Geschäftsmodell.

Was sind die Themen, mit denen Sie sich aktuell beschäftigen?

Wir arbeiten verstärkt am Thema Übergänge in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse, über das Budget für Arbeit und das Budget für Ausbildung. Und wir brauchen eine Zwischenstufe zwischen Werkstatt und Inklusiv!, in einem betriebsintegrierten Setting mit zwei bis sechs Personen.

Dann beschäftigen wir uns mit dem Thema "Nachhaltigkeit der Arbeitsverhältnisse" über die Vermittlung von Wissen und über lebenslanges Lernen. Wir bieten Helferfortbildungen für Kindergärten oder im Bereich Hauswirtschaft und bauen gerade eine Fortbildung für den Bereich Lagertätigkeit auf. Das ist eine Vorstufe zu den Zertifikatslehrgängen. Und wir erarbeiten methodische Handreichungen für die Anleitung. Weitere Themen sind Krisenmanagement bzw. der Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten und die Beratung von Arbeitgebern, etwa mit Fortbildungen zum Thema Epilepsie.

Ende Oktober bietet 53° NORD bei Ihnen in Würzburg eine zweitägige Veranstaltung, wo Sie Ihre Arbeit vorstellen. Was erwartet die Teilnehmer dort?

Die Veranstaltung findet in unseren Räumen mitten in Würzburg statt und als die Teilnehmer erleben unmittelbar, wie wir unsere Beratung und unsere Kooperationen organisieren. Dann erläutern wir unsere Arbeitsweise, worin das Konzept der Sozialraumorientierung besteht und wie man es implementiert. Das geschieht ganz praktisch, etwa indem die Teilnehmer eine Gemeindeerkundung üben, so dass sie ein Gefühl für die Methodik bekommen. Auch Peers kommen zu Wort. Die Arbeit in Betrieben wird über Filme vermittelt, es wird also sehr anschaulich.
Außerdem geht es ums Haftungsrecht, um Gefährdungsbeurteilung, um Arbeitssicherheit, alles wichtige Themen bei der Arbeit in Betrieben. Und wir erläutern unsere Entgeltsystematik und unsere Kooperationsvereinbarungen. Die zwei Tage bieten einen kompletten Überblick über unsere Arbeit.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Leube.

 

Zur Veranstaltung

 

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